Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Denn von allen teuren Erfahrungen des Lebens sind uns jene die kostbarsten, aber auch die kostspieligsten, die wir am Mitmenschen machen, sei er geliebt oder gehaßt, sei er uns fremd oder nahe. Wie sehr wäre es zu wünschen, könnten wir an dem hohen Preis, mit dem wir diese Erfahrungen bezahlen, an Zeit und Mühe und Enttäuschungen etwas er. sparen und die Kunst erlernen, in den Gesichtern der Menschen zu lesen wie in einem Buch. -

Wenn wir in ein fremdes Land reisen, so lernen wir vorher seine Sprache, um im Lande selbst nicht allzu viele Überraschungen erleben zu müssen. Ein fremdes Land aber ist uns nicht minder die Seele des anderen Menschen, zu dem wir eben in Beziehungen treten wollen. Sollte es unmöglich sein, jene wichtigere Sprache zu lernen, die für den Kundigen heimlich auf jeglichem Antlitz geschrieben steht, in dem doch sicherlich Charakter, Fähigkeiten, Erlebnisse so viele Veränderungen erzeugen, so tiefe Spuren hinterlassen? Wie wundervoll wäre es, wenn sich dies Antlitz vor uns auftäte und die Seele hinter ihm für uns lebendig würde...

Es gibt geborene Menschenkenner, die uns, oft sehr gegen unseren Willen, im Augenblick vom Gesicht ablesen, wes Geistes und Gemütes Kind wir sind. Aber merkwürdigerweise können sie selbst nicht recht sagen, wie sie das machen. Wohl muß es auch für sie ganz bestimmte Merkzeichen geben, nach denen sie sich richten. Doch sie können sie uns nicht mitteilen; gerade solche Merkzeichen aber brauchen wir, wenn wir das Lesen aus dem Gesicht des Menschen erlernen wollen. Eine erlernbare Wissenschaft der Physiognomik ist nur möglich, wenn ihr Stoff exakt beschrieben und ihre Methoden mitgeteilt werden können.

Die Gesichtszüge des Menschen reden ihre Zeichensprache. Dem Menschenkenner sind manche Vokabeln dieser Sprache vertraut, mehr als uns, die wir bisher nur ganz wenige kennen. Aber ihre volle Beherrschung erschließt: sich nur dem,

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