Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

drückten Gewohnheit, zugleich aber auch der Ausdruck für die Bereitschaft zur vollen Ausführung der entsprechenden Handlung, wenn die Unterdrückungsmotive wegfallen sollten. In der Regel aber wird im täglichen Leben so vieles nur andeutungsweise, zum Zweck der Verständigung, gleichsam in Zeichensprache, nur flüchtig kenntlich gemacht. Wenn wir in der Schicksalsstunde den Freund stürmisch umarmen, begnügen wir uns für gewöhnlich, ihm freundlich zuzulächeln, ihm die Hand zu reichen, also die offene Einstellung zu beziehen. Wenn wir in würgendem Ekel eine Speise erbrechen, beschränken wir uns bei weniger unangenehmen Eindrücken auf den bitteren Zug des Mundes, der das Erbrechen einleitet.

Auf diese genetischen Zusammenhänge hingewiesen zu haben, ist Darwins, des großen Abstammungsforschers; bedeutendes Verdienst. Überdies formulierte Darwin zwei Prinzipien der Ausdruckslehre, die aber auch oft angefochten werden. Das eine ist das Prinzip des gegensätzlichen Ausdrucks für gegensätzliche seelische Haltungen. Wenn Entschlossenheit und Zielgerichtetheit ausgedrückt werden durch festen Blick in eine bestimmte Richtung, durch geschlossenen Mund und geballte Fäuste {wir würden sagen: durch abgedeckte Einstellung), so wird gelockerte Haltung mit Achselzucken und Ausschütteln der geöffneten Handflächen als Ausdruck der Ratlosigkeit und Unentschlossenheit gedeutet. Es ist viel kritisiert worden an dieser Fassung, und tatsächlich trifft sie in vielen Fällen nicht zu. Richtig ist das Darwinsche Prinzip nur insofern, als die offene Einstellung im Gegensatz zur abgedeckten steht.

Das andere Prinzip Darwins ist ein rein physiologisches. Es handelt von der verstreuten (diffusen) Ausstrahlung einer Erregung und ihres Ausdrucks auf Nachbar-

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