Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance
einen Zeitgenossen des Meisters, zu „dementieren” und in einer antiken Literaturstelle die Quelle Giorgiones erkennen zu wollen. Danach handelte es sich überhaupt nicht um „drei Philosophen”, sondern um Äneas, E.vander, und Pallas an dem Orte des künftigen Kapitols - nach dem Bericht Virgils in seiner Äneide. Daß Giorgione auch sonst Virgilstellen illustriert hatte, schien festzustehen, spricht doch derselbe Michiel in der Galerie Contarini von einem „Äneas in der Hölle”. Daß anderseits, wie auh Wi&khoff zugab, zwischen der Virgilstelle und dem tatsächlichen Befund des Bildes nur eine recht unsichere Beziehung konstruierbar war, erklärte uns Wickhoff in der angedeuteten Weise: Giorgione sei das Thema nur von gelehrter Seite gestellt worden, ohne daß er den Virgil selbst zur Hand genommen hätte. Das Motiv sei ihm also nur „Literatur” gewesen, äußerer Auftrag und Bildanlaß, aus dem er dann als Maler etwas „ganz Anderes“ gemacht habe. Mit dieser Aufstellung von autoritativer Seite hat sich die Reihe der eigentlichen Deutungsversuche im Wesentlichen erschöpft. Schaeflers Gegenvorsclag Marc Aurels Erziehung durch zwei Philosophen —- kam neben Wickhoffs gewichtiger Aussage kaum recht zu Gehör.‘) Zweifel an der falschen Exaktheit aller solcher philologisch-historischer Bestimmungen wurden zwar bald wieder laut”) und mancher hielt im Geheimen an älteren „phantastischen” Deutungen fest, aber es wurde nichts wesentlich Neues vorgeschlagen und die moderne Giorgione-Literatur schob die gesamten literarishen Auslegungsfragen als letzthin ziemlich uninteressant gern beiseite.
Vielleicht, ja wahrscheinlich, sind auch wir nur Söhne unserer Zeit, getragen von einem neuesten, wieder mehr universellen und zugleich psydhologischen Kunstbegriff, wenn uns heute die Frage nah dem Gegenstande nicht nur aus Gründen wissenschaftlicher Vollständigkeit wichtig ist. Sie erscheint uns auch als ein Hilfsmittel zur Erkenntnis der Bildungswelt, als ein kennzeichnendes Symbol für die Richtung der Einbildungskraft, ja der allgemeinen unterbewußten Disposition eines Künstlers überhaupt.‘) Wir beginnen zu erkennen, daß der Hauptebene des formalen, sinnlichoptischen Vorstellens beim Künstler eine andere, wenn auch schwächere, des
mehr gegenständlich-begrifflihen Denkens entsprechen muß und daß man 8