Griechische Bildwerke : mit 140, darunter etwa 50 ganzseitigen, Abbildungen

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setz der Notwendigkeit‘, das ihm in diesem Falle die Natur der Stoffe vorschrieb, frei befolgt.

Am Ende der Epoche, mit Praxiteles, der die Feinheit der Marmorarbeit aufs höchste gesteigert hat, beginnt die Feinheit des Stilgefühls zu erlahmen. Jetzt erscheinen Stützen auch bei originalen Steinskulpturen. Freilich zunächst noch wohlmotiviert und in die figürliche Komposition als wesentliche Stücke einbezogen. Doch darf man fragen, ob damit nicht doch schon die dem Marmor eigentlich gesetzten Grenzen überschritten sind.

1:

Der großen Zahl aus dem Altertum erhaltener Bildwerke steht eine vergleichsweise kleine Zahl von Künstlernamen gegenüber, die mit bestimmten Werken in Verbindung gebracht werden können. Offenbar konnten die Griechen der guten Zeit zur Legitimation der Schönheit leichter auf die Beglaubigung durch eine Meisterbezeichnung verzichten, als es heute gewöhnlich ist. Sie sahen im Kunstwerk auf die Kunst, ohne nach dem Künstler viel zu fragen.

Diese von den griechischen Künstlern mit aller Selbstverständlichkeit geübte Zurückhaltung ist übrigens ein ganz allgemeiner Charakterzug der Antike. Auch Dichter und Historiker wollen nur die Sache. Aus dieser Sachlichkeit erklärt sich Thukydides’ strenge Sparsamkeit in der Charakteristik selbst der bedeutendsten Männer. Uns freilich scheint es sonderbar, daß sogar in einem Memoirenwerk, wie es die Erzählung von dem Kriegszug der zehntausend Griechen ist, der Autor Xenophon sich nur in der dritten Person wie einen Fremden einführt. Es ist griechischer Stil der klassischen Zeit.

Aus dieser Zurückhaltung folgt, daß für uns wohl große Gruppen verwandter Bildwerke unterscheidbar zusammentreten, daß wir Schulzusammenhänge wahrnehmen, ohne überall einzelne Künstler namhaft machen zu können. In der Kunst ordnet der Einzelne sich dem allgemeinen Gesetz naturmäßiger Entwicklung unter. Die Ge-

schichte der antiken Kunst wird darum immer wesentlich eine Darstellung künstlerischer Probleme bleiben müssen, wenn man will, bleiben können.

Lange Zeit haben sich auch die Griechen ohne eine große statuarische Kunst beholfen, wenigstens sind uns die frühesten künstlerischen Versuche nur in Tonfigürchen und kleinen Vollgußbronzen erhalten. Wir wissen nicht, wann und wie die ältesten Symbole, Steinhaufen, eckige Pfeiler, rohe Balken und Säulen, die in frühester Zeit Statuen der Götter vertreten mußten, zu organischer Gestalt umgebildet sind. Auch der sicher langwierige Prozeß der Veredelung der rohesten Bildungen, der Vermenschlichung des Gräßlichen und Grotesken liegt vor der Zeit, die durch Monumente bekannt ist. Nur aus der schriftlichen Überlieferung ist die versprengte Kunde von dem Holzbilde einer pferdeköpfigen Demeter von Phigalia zu uns gekommen, das um die Wende des VI. Jahrhunderts v. Chr. verbrannte und dann erst durch eine menschliche Bronzestatue ersetzt wurde.

Wo die statuarische Kunst der Griechen für uns greifbar wird, hat sie schon rein menschliche Gestalt und nationalen Charakter, nur in Kentauern, Satyrn und ähnlichen niederen Dämonen lebt eine Erinnerung an die frühesten Erfindungen der erschreckten Phantasie fort.

12.

Nicht das Streben nach einem absoluten Schönheitsideal, sondern die Folgerichtigkeit naturmäßiger Entwicklung ist der Grundzug der griechischen Kunst. Der griechische Künstler stand immer befriedigt an seinem Platz, kaum einer mag das Bedürfnis empfunden haben, etwas anderes zu leisten, als gerade seiner Kraft angemessen war. Darum fehlt der griechischen Kunst jedes sehnsüchtige oder gar sentimentale Element, das in der neueren Kunst oft so peinlich hervortritt. Die Entwicklung der griechischen Kunstprobleme hat den Charakter eines sich geräuschlos und eigentlich schmerzlos vollziehenden Naturvorganges.