Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
Die Vodgoriza-Affaire.
Plöblich ſchleuderte der Telegraph eine Nachriht in die Welt, welche die allgemeine Aufmerkſamkeit mit einmal wieder dem Süden zuwendete.
Am 19. October wurden nämlich in-Folge der Tödtung eines Türken in Podgoriza (Grenzort) die am dortigen Bazar anweſenden Montenegriner von den Türken niedergemacht. Am 20. ſollten in Podgoriza und in der Zeta-Ebene abermals mehrere Montenegriner getödtet worden ſein, ſo daß bishin im Ganzen in Podgoriza neun und in der Ebene a<ht Montenegriner getödtet worden ſein ſollten, einige türkiſhe Unterthanen chriſtlicher Religion nicht mitinbegriffen, welhe für Montenegriner gehalten wurden. Der Obere des Kloſters von Piperi wurde, ſi< in die Wohnung des türfiſchen Kaimakam (Staatsverwalters) flüchtend, von dieſem gerettet. Die Montenegriner, welche ſih in der dortigen türkiſhen Gegend aufhielten, hatten fi< na< Montenegro geflüchtet und wurden die in Montenegro befindlihen Türken auf ihren Wunſch an die Grenze escortirt, während mehrere Andere derſelben zu verbleiben vorzogen.
Die Nachricht von der Meyelei in Podgoriza erwe>te allgemein Beunruhigung und Mißtrauen. Es hieß in den Meldungen aus Cattaro, daß wenigſtens zwölf Czernagorzen erſtochen und erſhlagen worden ſeien. Wenn es wirkli< der Fall war, dann konnte man ſicher ſein, daß wenigſtens vierundzwanzig Türken erſchlagen und erſtochen worden ſind. Es handelte ſi< hauptſähli< darum, zu wiſſen, wer den Streit angefangen hatte, und ob Derjenige, welcher dies gethan, die Abſicht hatte, den Gegner zu provociren. Weitere Nachrichten aus Cattaro meldeten von einer großen Gährung, die in den Shwarzen Bergen herrſchen ſollte; das hieß ſo viel, als: die Mont eNegre O WIED Verei in das lürkiſhe Gebiet einzufallen! Bekanntlich müſſen die braven Czernagorzen von Zeit zu Zeit, etwa in jedem zweiten Fahre, eine kleine Razzia (militäriſhen Plünderungszug) auf das türkiſche Gebiet unternehmen ; das hängt viel von der Ernte ab und von dem Zuſtande der Gemütherin den Shwarzen Bergen. “Eine große Razzia mit einem kleinen Kriege, wie im Fahre 1869 in der Bocca di Cattaro, iſt ihnen am liebſten. Aber da Oeſterreih-Ungarn für den Moment mit Montenegro auf ziemlih gutem Fuße ſtand, waren die Czernagorzen ſo großmüthig, dieſes Gebiet einſtweilen zu verſchonen. Es kamen aber Umſtände zuſammen, welche es höchſt wahrſcheinli<h machten, daß die Montenegriner ſi< zu einem großen Kriegszuge gegen die Türken vorbereiteten,
Um das zu begreifen, muß man die damaligen Borgänge in den Schwarzen Bergen etwas genauer betrachten.
Zn den Städten Dalmatiens, in Zara, Spalato, in Raguſa lebte vor wenigen Fahren noh eine Anzahl von ſogenannten montenegriniſhen Flüchtlingen, welche auf Staal8- (das heißt öſterreichiſche) Unkoſten ernährt wurden. Dieſe Leute waren wegen Streitigkeiten mit dem Fürſtenhauſe und mit der Geiſtlichkeit im Berglande, vertrieben worden. Oeſterreih in ſeiner Gemüthlichkeit meinte ein gutes Werk zu üben, indem es die Leute ernährte, indeſſen frug man ſi< denn doh zuleßt, weshalb der Staat eine Anzahl von ſtarken Männern im Müſſiggang — es gingen die Herren den ganzen Tag ſpazieren — jahrelang füttern ſollte, da man doh das Geld viel beſſer verwenden konnte; und ſo wurden endlih öſterreichiſherſeits mit Cettinje Unterhandlungen gepflogen, deren Reſultat war, daß die Flüchtlinge ſtraffrei in ihre Heimat zurü>kehren durften.
Seit der Zeit war es in den Schwarzen Bergen unruhig; um inneren Conflicten vorzubeugen, iſt es in Montenegro wie in anderen, wenn auh civiliſirteren Ländern alter Brauch, die beunruhigten Gemüther na< Außen abzulenken, denn in der patriotiſhen Aufregung vergißt man am eheſten Familienzwiſt und die ſ{<önen Seelen finden ſih wieder, wenn au< nur für eine kleine Friſt.
Zu den Gerüchten über innere Zerwürfniſſe in Montenegro geſellten ſi< no< die poſitiven Nachrichten von den großen Rüſtungen des kleinen Volkes. Dieſe Rüſtungen ſtehen aber durhaus niht im Verhältniſſe zu den Mitteln des Landes und laſſen auf keine guten Abſichten ſ{hließen. Der Kern der montenegriniſhen Armee, etwa 10.000 Mann, iſt heute in moderner Weiſe, nämli<h mit Hinterladern, bewaffnet und neu organiſirt worden ; eine Anzahl Kanonen und Gebirgsbatterien bringt ihnen eine bisher entbehrte Waffe für den „großen Krieg“; ja es ſprehen ſogar Reiſende, welche in der lebten Zeit in Cettinje waren, von einer „Waffenfabrik“, welche eben im Betriebe ſei freilich iſt dieſes Lettere niht ſo genau zu nehmen, denn was die Montenegriner unter Fabrik verſtehen, bedeutet bei uns ſo viel wie „Werkſtätte“, und dieſe kann niht einmal beſonders groß ſein. Viel wahrſcheinlicher dagegen iſt, daß der Fürſt einen Theil ſeiner modernen Waffen gekauft oder von Rußland zum Geſchenk erhalten hat. Das Eine ſteht jedoch feſt, daß wenn die Montenegriner neue und ſ{<ône Waffen haben, ſie fortwährend vor Begierde brennen, dieſelben zu probiren, und das niht etwa auf Manövern, ſondern in der Praxis vor dem Feinde,