Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
daß ein mit ihr geſchloſſener, den öfterreichiſhen Intereſſen entſprechender Zolltarif-Tractat in den Donau-Fürſtenthümern zur Geltung und Beobahtung gebraht werden könne, ſo hätte man es wahrſcheinlih gerne vermieden, den Rumänen und Serben jene wirthſchaftli<e Conceſſion zu machen, welche dieſelben ſi< anſchi>ten, als p olitiſhes Zugeſtändniß auszubeuten. Aber bei den überaus gelo>erten Verhältniſſen der Baſallenſhaft und den Rechten, welche den Ländern an der unteren Donau für ihre innere Verwaltung vertrag8mäßig zuſtehen, konnte davon niemals ernſtlih die Rede ſein. Da jedo< Oeſterreichs Handel und Fnduſtrie, ſhwergeprüft, wie ſie ohne- dies waren, jene für den Export günſtigeren Tarife dringend bedurſtén, ſo war es ſelbſtverſtändlih, daß man das eigene Fntereſſe um ſo nachdrü>licher in die erſte Reihe ſtellte, als man ſih glüc{liherweiſe in der Lage ſah, ſolches ohne das geringſte politiſhe Wagniß thun zu können, weil die zunächſt hierbei in's Gewicht fallenden continentalen Mächte: Rußland und das Deutſche Reich, ſich in Folge der „Drei-Kaiſer-Politik“ n o < in Reih’ und Glied mit Oeſterreih-Ungarn befanden. Demnach gab der erſte Dolmetſch der Fnternuntiatur in Conſtantinopel, Legationsrath von Kosjek, im Auftrage ſeiner Regierung die Erflärung ab, daß der gemeinſamen Regierung nichts Anderes erübrige, als die Einleitung der nothwendigen Verhandlungen mit der Regierung der Fürſtenthümer und die Formulirung der Reſultate derſelben in einem Jnſtrumente, das blos die Unterſchrift der Miniſter trüge. Die gemeinſame Regierung von Oeſterreih-Ungärn betrat auh thatſächlih dieſen Weg, der die Rechtsfrage ganz offen ließ, und zwar in ausdrü>liher Uebereinſtimmung mit den Cabineten von Berlin und Petersburg, und ohne bei den anderen Mächten, denen hiervon Mittheilung gemacht wurde, formellen Einſpruch zu begegnen.
Nur von einer Seite ſtieß man auf einen verſte>ten Widerſtand. Bekanntlich hatte es den vereinten Bemühungen der drei verbundenen Cabinete von Wien, Petersburg und Berlin nicht gelingen wollen, die Pforte gutwillig dazu zu bewegen, die Rehtsanſprüche derDonau-Fürſtenthümer auf den Abſchluß ſelbſtſtändiger Handels-Conventionen als vollgiltig anzuerkennen. Man glaubte damals, daß der türkiſche Widerſpruch, welcher ſich ſogar verſtieg, die öſterreichiſh-ungariſche Regierung der Vertrauensverlezung zu zeihen, hauptſächlich auf die Einflüſterungen des britiſchen Botſchafters in Conſtantinopel, Sir Henry Elliot, zurü>zuführen ſei.
Hatte do< England ſchon ſeit Langem die Wichtigkeit und die ungeheure Tragweite der orientaliſchen Frage erkannt, weshalb es ſeit jeher
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nur ſeine ausgezeihnetſten Diplomaten mit dem Botſchafterpoſten in Conſtantinopel betraute. Lange Jahre hindurh war Lord Stratford de Redcliffe Englands Vertreter bei der Hohen Pforte, und er wußte ſi< einen ſo machtvollen Einfluß über die türfiſhe Regierung zu ſichern, daß er faſt ausſcließli< für die Sultane die Geſchäfte ihrer auswärtigen Politik beſorgte. Leider beging Lord Stratford den großen Fehler, daß er ſich zur höchſt ungelegenen Zeit von ſeinem Poſten zurüzog (1858). Es war eben jene Zeit, wo die ruſſiſche Regierung einen ihrer gewiegteſten und \<laueſten Diplomaten, den General Jgnatieff, na< Conſtantinopel ſandte. Da freili< gewann der ruſſiſche Einfluß nur zu bald das Uebergewicht. Jgnatieff verſtand es ganz vorzüglich, unter dem Scheine der Freundſchaft die Grundfeſten der türkiſchen Herrſchaft zu untergraben ; andererſeits wieder konnte die engliſche Regierung lange feinen Mann ausfindig machen, welcher die erforderlichen Eigenſchaften beſaß, um dem ruſſiſchen General das Heft aus der Hand zu winden. Ein ſo harmloſer, phlegmatiſcher Politiker wie Lord Bulwer brachte ſolches niht zu Stande, und deſſen Nachfolger, Lord Lyons, wurde des ungewohnten Kampfes alsbald müde.
Da endlih, im Jahre 1867, wurde Sir Henry Elliot zum Botſchafter Großbritanniens ernannt, und von dem Augenbli>e an hob ſi der engliſche Einfluß im Oriente ſtetig, bis derſelbe ſo entſcheidend und tonangebend wurde, wie er ſih noh gegenwärtig zeigt. Sir Elliot ſpielte die leitende Rolle in Conſtantinopel, und ſo mag es gewiß Jutereſſe haben, wenn wir die politiſche Laufbahn dieſes Mannes etwas näher betrachten.
Sir Henry Elliot wurde, als der zweite Sohn des Grafen von Minto, im Fahre 1817 geboren, beendete ſeine Studien an der berühmten Eton-Schule und begann ſeine Laufbahn als Secretär und Flügeladjutant des damaligen Gouverneurs von Van Diemens-Land, Fohn Franklin. Bald wurde er von da als Geſandtſhafts-Attaché nah St. Petersburg geſhi>t, von dort nah dem Haag, ſpäter nach Wien, wo er zeitweilig auh ſelbſtſtändig als diplomatiſcher Geſchäftsträger thätig war; 1858 wurde er Geſandter in Kopenhagen. Als das Fahr darauf fich die Verhältniſſe in Ftalien bedrohlich zu verwirren begannen, da fand die engliſche Regierung in Sir Elliot, der in ſeinen verſchiedenen Stellungen bereits zahlreiche Proben außergewöhnlicher Begabung abgelegt hatte, einen der verläßlichſten Vertreter, und ſo übte er denn von Neapel aus beſtimmenden Einfluß auf den Gang der Ereigniſſe. Von Neapel weg begab ſi<h Sir Elliot na< Athen, kehrte wieder als Geſandter nach Ftalien zurü>, und endlich, im Jahre 1867, wurde
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