Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

Wesen der yvwcıc. . 159

tief in der Volksvorstellung eingewurzelt, und der Charakter der orientalischen Religionen als Offenbarungsreligionen verleugnet sich selbst in den „gnostischen“ Systemen nicht. Aber entscheidend für die Bildung des Begriffes yywcıc ist der in Ägypten wenigstens allgemein verbreitete Glaube an eine fortwirkende Betätigung der göttlichen Kraft, eine fortlaufende Offenbarung. Er gibt dem einzelnen iepeuc oder didäckakoc Recht und Kraft, eine Gemeinde um sich zu versammeln oder gar als cwrijp ToD yevouc aufzutreten. Schließt der Priester, der solche Offenbarung empfangen hat, seine Lehre noch an die Gottheiten des Volksglaubens (’Ayadöc daiuwy, Hermes, Isis u. a.), so wird eine Trennung seiner Gemeinde vom allgemeinen Kult wenigstens in Ägypten kaum stattgefunden haben; um so leichter konnte, was er an Neuem hinzunahm, auf die Allgemeinheit wirken. So ist das Dogma von dem Gotte Mensch durch Bitys in die Hermes-Gemeinden eingeführt, und diese Einführung hat später das Zurückfließen der Poimandres-Gemeinde in die Allgemeinheit befördert. Ihrem Gründer schien sie noch so neu und eigenartig, daß er sich gedrungen fand, einen eigenen Gott zu verkünden und eine eigene Religion zu stiften. Seine Lehre ist dann von Nachfolgern mannigfach erweitert und umgestaltet worden. Denn mit dem Begriff dieser yvwcıc ist eine beständige Umbildung und Erweiterung des Religionsinhalts verbunden (vgl. Irenaeus 118, 1). Ich fasse, ehe ich auf diese Umbildungen eingehe, noch einmal das Resultat zusammen: in der Hauptmasse dieser Literatur hat sich uns die theologische Schriftstellerei ägyptischer Priester aus verschiedenen Epochen der Kaiserzeit erhalten. Verschieden stark erscheint in ihr das griechische Element, je nachdem Spruch oder Darlegung, Vision oder Philosophie stärker hervortreten; aber etwas von griechischem Geistesleben trägt jede dieser Schriften in sich und trägt es hinaus in die mancherlei Länder, in welche der Kult der ägyptischen Gottheiten dringt.!) Wie stark die Wirkung dieser Literatur war, können wir nicht

hin, daß auch im hellenistischen Gebrauch micrıc vereinzelt an Stellen begegnet, wo es sich um eine dem Prophetentum eng verwandte besondere duvauıc handelt, vgl. Dieterich, Jahrb. f. Phil. Supplem. XVI 8. 809 2. 17: &yı N micric r eic AvBpuhmouc ebpebeica kai MPOPATNC TWv Aylwv dyoudrwv elui, 6 Äyıoc 6 Ermepukisc &k toD Bußo0 (vielleicht der avöpwroc); vgl. auch S. 27 Gebet VI8.

1) Wie weit es dabei zu einem Zusammenschluß der verschiedenen auswärtigen Gemeinden kam (vgl. Wissowa, Religion und Kultus der Römer 298),