Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen : Voyslav M. Yovanovitch, 'La Guzla' de Prosper Mérimée, Étude d'histoire romantique.

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Natürlich macht der Gwx/a-Regisseur daraus ein persönliches Erlebnis, das gerade wegen seiner scheinbar realistischen Treue, wegen des Interesses an angeblich wirklichen und sonst liebenswerten Persönlichkeiten und wegen der Versuche des Psychologen, hinter die Gründe der furchtbaren Verirrung zu kommen, an packender Gewalt gewinnt. Wertvoll ist die Unterscheidung und der Nachweis, dafs Mérimée, auf seine Gewährsmänner gestützt, in der Notice den Vampirismus als das hinstellt, was er ist: krankhafte Phantasie, die sich in Halluzination umsetzt. In seinen Vampirballaden aber hat dieser Vampirismus, nach dem Vorbilde von Byron und Nodier, einen ganz romantischen Charakter. Der Vampir ist nur der von einem bösen Schicksal verfolgte Held, auf dem ein Fluch lastet, der ihn Böses tun läfst, und der Rache fordert von ebenfalls Verfluchten. Gegen diesen romantischen Vampirismus nimmt Yovanovitch die Serbokroaten in Schutz. Wohl hören die Kinder im Lande gelegentlich solche Ammenmärchen, aber ein guxlar würde erröten, seine Phantasie aus so trüben Quellen schöpfen zu lassen. Gleiches gilt von dem ‘bösen Blick’, den Mérimée ebenfalls in einer Ballade behandelt. Er weist dabei auf Orpheus und Euridike hin. In der ersten Ausgabe hatte er noch über dieses Thema eine Anmerkung hinzugefügt, die dem gelehrten Werke des Jean-Baptiste Porta (1589) entnommen war. Aber die eigentliche Volkspoesie hat den Stoff nicht behandelt, so dafs auch hier ein Mifsgriff Mérimées vorläge. Für die sonderbare Geschichte von dem Amant en bouteille, bei dem jeder deutsche Leser gewifs unwillkürlich an die Homunkulusszene denken wird, hat Mérimée aus Le Monde enchanté des holländischen Gelehrten Balthazar Bekker (1691) geschöpft. Zwar weist er wieder selbst, freilich in seiner Art, auf Bekker hin: er habe dort eine Geschichte gefunden, die mit seiner eine grofse Ähnlichkeit habe, so dafs man also nur die Belesenheit bewundern und nicht auf den Einfall kommen soll, die Originalität anzuzweifeln ; aber dafs auch die Flasche selbst Bekker entlehnt ist, was Mérimée verschweigt, sehen wir aus einer Seite des Monde enchanté, deren Nachweis wir Matic verdanken. Yovanovitch druckt nun wieder das gesamte Material in extenso ab, so dafs man der Mühe enthoben ist, die zum Teil schwer zugänglichen Quellen oder Bücher, seiner Zuverlässigkeit vertrauend, nachzulesen. Der Hauptwert des etwas umständlich angelegten Kapitels über das ‘Wunderbare in der Quxla’ liegt in dem gelungenen und feinsinnig begründeten Nachweis, dafs, wenn auch solche abergläubischen Greuel im Volke geglaubt werden, die Volkspoesie sie doch nicht besingt. Mit dem Augenblick, wo eie in die Verse übergehen, hat sich das Volk von ihnen freigemacht; nur eine schon ‘literarisch’ gewordene Poesie behandelt solche Stoffe, und Yovanovitch fafst sein Urteil in dem Schlufs dieses Kapitels dahin zusammen: C’est en écrivain qui fait ‘un extrait de ses lectures’ et en romantique stendhalien que Mérimée découvre l'esprit des nations ‘primitives’ plutôt qu’il n’approche de la véritable ballade traditionelle. Was endlich den ‘Klagegesang’ betrifft, so will Yovanovitch zum Teil eine neue Interpretation geben und für Frankreich und England die Biographie vervollständigen, die für Deutschland und die slawischen Länder dank der vielen Einzelstudien fast vollständig ist. Yovanovitch übersetzt die Ballade nach dem serbo-kroatischen Text des Fortis wörtlich. Hat er aber wirklich etwas Neues zur Interpretation beigebracht? Höchstens für das rätselhafte Verhalten des Assan, indem er andeutet, dafs wohl irgendein ernster Grund für den Bruch vorlag, da alle piesmas einen tatsächlichen Hintergrund haben. Darauf deute auch das Verhalten des Bruders. Der guxlar wolle niemand anklagen, sondern berichte nur, wie sich das Verhängnis für die junge Frau erfüllt.