Archiv für slavische Philologie : Jovanović, »La Guzla« de Prosp. Mérimée

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Kritischer Anzeiger.

Es würde zu weit führen, wenn ich das gehaltvolle Buch von Kapitel zu Kapitel verfolgen und über die Resultate einzeln Bericht erstatten wollte. Dies wäre auch kaum ausführbar, da das reiche Material, das der Verfasser mehrere Jahre hindurch gesammelt und in europäischen Bibliotheken zur Hand gehabt hatte, mir gegenwärtig großenteils nicht zur Hand ist und nicht nachgeprüft werden kann. Es sei daher gestattet, mich auf Bemerkungen allgemeinerer Natur zu beschränken und einzelne Stellen anzuführen, hauptsächlich um Beispiele für die prinzipielle Erörterung über die Art und Weise der Auslegung beisteuern zu können. ■ — Die Schlußbetrachtung des Verfassers, die knapp und treffend seine Resultate zusammenfassend darzustellen bestrebt ist und seine Absichten retrospektiv klarlegt, möge mir zum Ausgangspunkte dienen. Es lag vor allem in der Absicht des Verfassers festzustellen, daß es die Sucht nach Sensationen war, die den jungen französischen Romantiker am Beginne seiner schriftstellerischen Laufbahn dazu verführte, eine Schrift wie »La Guzla« abzufassen. Starke Eindrücke, unbereiste Länder, wilde oder halbwilde Völker, Zigeuner und Vagabunden aller Sorten, das war die Welt, in der er sich damals gefiel. Da lernte er aus Nodiers Romanen Illyrien und die Illyrier kennen. Anderseits wieder, und nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem vorhergehenden, hatte die Neigung für alles ursprüngliche ihm auch das Interesse für die geistigen Produkte des Volkes nahegelegt. In Deutschland und in England war ihr Einzug in die Dichtung schon längst vollzogen, und auch in Frankreich wirkte langsam das Vorbild Fauriels. Mérimée selbst war zu sehr Literat und Schüler Stendhals,.um es, in bezug auf die Forschung, den Folkloristen genau nachzumachen; der neuen Strömung in der Literatur zahlte er daher sein Tribut mit einer poetischen Sendung, die sich für eine Volksliedersammlung ausgab, in der Tat aber eine Reihe von selbstgemachten kleinen Dichtungen darstellt, bei deren Abfassung die mangelnde Erfindungskraft durch künstlerischen Sinn und Geschicklichkeit ersetzt erscheinen. Diese kleinen Dichtungen sind nämlich lauter »Lektüre-Auszüge« ihres Verfassers, Randbemerkungen und Illustrationen zum Text, die im übrigen die Originale übertreffen: aus weltberühmten und doch von der Weltvergessenen Büchern und Autoren, greift er mit der geschickten Hand des geborenen Künstlers was er für seine Zwecke braucht heraus, fügt eins oder das andere hinzu, und gießt dann über das ganze »Lokalfarbe«, soviel ihm nur in seinen Quellen zur Verfügung steht, oder auch noch mehr. So entstand »La Guzla«, angeblich eine »Auswahl illyrischer Gedichte, gesammelt in Dalmatien, Bosnien, Kroatien und der Herzegowina«, ins Französiche übertragen. Viel später, nach dreizehn Jahren, als Mérimée bereits der bekannte Schriftsteller war und auf seine Jugendwerke als auf »Dummheiten von Einst« herabsah, hätte er am liebsten auch die »Guzla« verleugnet, und wollte es um jeden Preis als ein bewußtes Machwerk zur Täuschung der braven Bürger und Verlachung der »Lokalfarbe« hinstellen, wodurch nur noch mehr Verwirrung in die ohnehin genug komplizierte Geschichte hineinkam. Das Buch hatte nämlich unterdessen Geschicke erlebt, die heute viel mehr Interesse zu erwecken imstande sind als der Inhalt selbst; es sind Le-