Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.

609 Klippen des Glücs.

Frau v. Oſternau ließ den Stricfſtrumpf ſinken und blite ihren Gatten lächelnd an. Sie war niht ſchön, aber wenn ſie ſo freundlih, wie in dieſem Augenbli>, lächelte, hatte ihr Angeſicht einen ganz eigenen Liebreiz. Es ſprach ſi< in dem milden Ausdru> eine ſolche Her= zensgüte aus, daß man die Unregelmäßigkeit der Züge gar niht bemerkte; ſie erſchien dann troß ihrer vierzig Fahre no<h immer als eine hübſche Frau. Fhr Lächeln war unwiderſtehlich, mit ihm beſiegte ſie jeden Widerſpruch gegen ihren Willen bei ihrem Gatten, der gegen ein harz tes Wort oder gar gegen einen Befehl ſi<h ſicherli< auf gelehnt haben würde, aber gegen ihr freundliches Lächeln keine Macht hatte.

„Haſt Du vergeſſen, lieber Friß, welche Qual wir Beide heute Nacht ausgeſtanden haben?“ fragte ſie mit milder Freundlichkeit. „Du haſt ſo ſ{<hre>li< gehuſtet, wir haben ja Beide kaum ein Stündchen geſchlafen, und nun willſt Du in der glühenden Sonnenhiße hinaus zu den Arbeitern! Thue es mix zu Liebe, Friß, bleibe ruhig in Deinem Lehnſtuhl ſißen. Es iſt ja ohnehin bald Mit=z tag, dann gibt es wieder Leben auf dem Hof.“

Herr v. Oſternau brummte ein paar unverſtändliche Worte, ex dachte nicht mehr daran, ſeinen Lehnſtuhl zu verlaſſen, ſeufzend ergab ex ſi< in ſein Schi&ſal. Ex nahm ſein Buch auf, aber bald legte er es wieder nieder, zum aufmerkſamen Leſen konnte er ſih doh nicht zwingen.

„Emma, weißt Du, daß wir heute den 6. Juli haben?"

„Jh glaube, ja — aber wie kommſt Du darauf