Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.

Roman von Adolph Stre>fuß. GN

Frau v. Oſternau ſagte ni<ts, aber fie ſchaute mit dem Ausdru> geſpannter Erwartung nah der Thüre. Sie hatte niht lange zu harren, ſchon nah wenigen Minuten erſchien Hildebrandt, der alte Kammerdiener des Herrn v. Oſternau, um zu melden, ein ſonderbarer Menſch ſei ſoeben mit einer Reiſetaſche auf dem Rücten angefommen; er nenne ſi< Gottlieb Pe<hmayer und behaupte, er ſei der von der gnädigen Frau erwartete Herr Kandidat, für den oben im erſten Sto> die beiden ſ<önen Zimmer eingerichtet ſeien; er wünſche die gnädige Frau zu ſprechen.

Ganz verwundert ſ{<üttelte der alte Hildebrandt mit dem Kopf, als die gnädige Frau ihm befahl, ex möge den Herrn Kandidaten ſogleich zu ihr führen: ex wagte fogar zu bemerfen, der Menſch ſei ganz gewiß fein wirklicher Kandidat, ſondern irgend ein Vagabund, dem die geſtoß= lene Kleidung nicht auf den Körper paſſe, aber er mußte ſich endlih doh bequemen, dem wiederholten Beſehl der Frau v. Ofternau Folge zu leiſten und Herrn Gottlieh Pechmayer in das Wohnzimmer führen.

Als der Erwartete dux< die von Hildebrandt geöffnete Flügeſlthür trat, fiel der Frau v. Oſternau abermals der Kontraſt zwiſchen der äußeren Erſcheinung des jungen Mannes und ſeiner Haltung, ſeinen Bewegungen auf. Er hielt den ſ<äbigen, alten {warzen Cylinderhut ſo ſicher nachläſſig in der Hand wie ein Cavalier, der zu einer Viſite kommt, und die Verbeugung, mit der ex zuerſt die Frau und dann den Herrn des Hauſes begrüßte war tadeſ= los, ungezwungen und dabei doh reſpeftvoſl. Seine großen dunkeln Augen ri<teten ſich während der [urzen Begrüßung

Bioliothekl. Jahrg. 1884. Bd, 1, 5