Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.

72 Klippen des Glüds.

wax geöfſnet, Frau v. Oſternau, die ſelbſt no< gern Klavier ſpielte und die mit ihrem ſeelenvollen Spiel ſich und ihrem Gatten manche genußreiche Stunde bereitete, hatte es erſt vox furzer Zeit benußt und no< nicht wieder geſchloſſen. Ex trat an das Juſtrument und nahm das auf dem Notenpult liegende Notenheft auf.

„Beethoven |!“ ſagte er. „Zſt Jhr Fräulein -Tochter ſchon ſo weit vorgeſchritten ? Es iſt erquidend, wenn man heutzutage auf einem Flügel fol<e Noten findet. Die Damen, welche Fingerfertigkeit genug haben, die Wald= fteinſonate zu ſpielen, pflegen ihre Kunſt meiſt nur zu Salonbravourſlüchen zu verwenden. Was gilt heutzutage in der Geſellſchaft ein geläuterter Geſhmad>? Wer haëï no< Sinn füx eine wirkliche Muſik? Wer tüchtige muſika= liſche Purzelbäume ſchlagen kann, wer die Hand genügend geübt hat, daß ſie in raſender Schnelligkeit über die Laſtei fliegt, wer das tollſte Zeug mit der größten Fertigkeit zuſammenpaukt, der iſt der Meiſter. Solche brillante Salonmuſik iſt mix ebenſo im Grunde der Seele zuwider, wie die weichliche Gefühlsduſelei mancher der neueren, bei unſeren ſhmachtenden Damen ſo beliebten Komponiſten.“

Welche ſeltſame Art zu ſprechen ! — Frau v. Oſternau ſchaute mit großen, weitgeöffneten Augen dên ſonderbaren Menſchen an, dex, während er in dem Notenheft blätternd redete, ganz zu vergeſſen ſchien, zu welchem Zwe> er an den Flügel getreten war. Welcher wunderbare Kontraſt zwiſchen der äußeren Erſcheinung des jungen Mannes und feinem Weſen, ſeinen Worten! Die unbefangene Sicher= Heit, mit welcher er ſprach, feine ganze Ausdru>sweiſe