Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

70 Klippen des Glüds.

fühlt, weil Freiſtetten zu den ſehr wenigen Bekannten ge= hörte, die ex niht im 1 Verdacht ſelbſtſüchtiger Berechnung haben fonnte.

Freiſtetten war eben im Begriff, in Begleitung eines Führers die Korallenſteine empor zum Kamm des Gebirges aufzuſteigen, ein bei der Mittagshiße ſehr mühevolles Unternehmen. “Einen Moment war er, um Athem zu ſ{öpfen und ſich die Tropfen von der feuchten Stirne abzutro>nen, ſtehen geblieben, da erbli>te er über ſi<h in geringer Ent= fernung den bergab ſteigenden Egon, den er mit dem luſtigen Rufe begrüßte. Seine Ermüdung hatte er in demſelben Augenbli> vergeſſen, mit kräftigen, weiten Sprüngen eilte er den ſteinigen Weg empor und Egon's Hand ergreifend ſchüttelte er ſie herzlich.

„Wahrhaftig, Herr v. Ernau,“ rief ex jubelnd, „das iſt die größte Freude, die ih ſeit Jahren gehabt habe. I< habe niht an Jhren Tod geglaubt, habe ih Sie doch kürz= li erſt in Breslau geſehen; aber als alle Welt behauptete, Jhre Leiche ſei gefunden, als ih vorgeſtern Jhrem Begräbniß folgte, da meinte ih doh, mic geirrt zu haben, und be= trauerte Sie. Nun, Gott ſei Dank, ih hattê doch Necht, Sie ſind nicht todt, friſch und lebendig ſtehen Sie vor mix! J< könnte Sie küſſen vor lauter Luſt und Jubel!“

Die Freude des jungen Mannes ivar ſo aufrichtig, daß Egon gar ni<t umhin konnte, den herzlichen Gruß ebeufo herzlich zu exwiedern. War ex im erſten Augenbli> durch die Begegnung unangenehm überraſcht worden, ſo erregte doch manches ſeltſame Wort in Freiſtetten's Begrüßung ſeine Neugier, und ex ging daher gern auf den Vorſchlag