Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.
Von Friedri<h Zimmermann. 235
In dem Jahrtauſend, welches dem Nirwana des Stif= ters folgte, breitete ſi<h der Buddhismus über den größten Theil Aſiens aus, verfiel aber zuglei<h auh. dem Looſe, welchem alles an ſi<h Gute und Edle, wenn es unter die Menſchen hinaustritt, verfällt: ex degenerirte, artete aus und wurde gemißbraucht zu irdiſchen, eigennübßigen Zwecen.
Dex heutige Buddhismus, wie ex auf Ceylon, in der Mongolei, in Birma, Siam, in Tibet und China gelehrt wird und als Volfsreligion herrſcht, weist nux noh wenig von dem Geiſte Sakjamuni’s auf, und nux in den heiligen Büchern findet ſih die Lehre, zwar verhüllt von einem Wuſt von Regeln, Spibfindigkeiten, Auswüchſen und Er=flärungen, aber no< erfennbar dargeſtellt. Jn die Volks= religion haben ſi<h_ eine Unmenge abergläubiſcher Vor= ſtellungen, ein wüſter Reliquien- und Bilderdienſt einge= ſ<li<hen. Der „heilige Zahn“ des Buddha gilt dem Gläu= bigen mehx, als die reine Lehre. Jn Jndien gewann dex Brahmanismus wieder die Oberhand.
Indeſſen kann Niemand die wohlthätige, moraliſch ver= edelnde Wirkung leugnen, die der Buddhismus auf die aſiatiſchen Völker auêgeübt hat. Wohl die glänzendſte Seite der Lehre, die ſih au< heute no< in voller Wirk= ſamkeit zeigt, 1ſt ihre Toleranz. Dex Buddhiſt betrachtet alle Menſchen, welchen Glaubens, welcher Nationalität ſie auch angehören mögen, ‘als ſeine Brüder, die, wenn auh irrend, mit ihm na<h demſelben Ziele ſtreben. Niemals iſt für die Ausbreitung des Buddhismus nux ein Tropfen Blut gefloſſen, wohl aber haben Brahmanismus und Jslam mit Feuer und Schwert gegen die Schüler Sakjamuni's