Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
‘Von Roderich Trenthorſt. 191
Daniel Seghers ſuchte der trüben Stimmung, die ſich na der Abreiſe Claire's ſeiner bemächtigt hatte, dur< angeſtrengteren Fleiß Herr zu werden; ex hatte ſih auf den Rath ſeines Lehrers in der lebten Zeit dem Porträtfache zugewendet, für das er befonderes Zalent zu haben ſcien, und dies gab ihm Gelegenheit, ſeinem Lehrer und zugleich der geliebten Jugendgeſpielin ſeine Huldigung darzubringen, indem ex Claire's Bild aus der Erinnerung malte. Daß Daniel's Neigung zu Claire mehr war als das Gefühl, welches Bruder und Schweſter an einander bindet, ahnte Niemand, am allerwenigſten Claire ſelbſt, die in ihrer findlichen Unbefangenheit in der That in dem ſchüchternen Daniel ni<hts Anderes als einen älteren Bruder ſah.
Dex junge Seghers hatte gerade das Bild bi3 auf die leßte Roſenknospe des Blumenkranzes, der deſſen Rahmen bildete, vollendet, als Claire von Gent wieder in ihrer Baterſtadt anfam. Sie war zwei Jahre in der Fremde geweſen und hatte ſi<h in der kurzen Zeit ſo verändert, daß Daniel in der hochgewachſenen Dame mit dem ſtolzen Bli ſeine Jugendfreundin kaum wieder exfannte; ſie war ſo ſ<hön geworden, daß der junge Malex ſie gar nicht ofen anzubliden wagte, ſondern nux verlegen von dex Fenſterniſche aus, in die ex ſih zurü>gezogen hatte, dann und wann das Auge zu ihr aufſ<lug.
Nachdem der exſte Sturm des freudigen Wiederſehens im Hauſe verrauſcht wax, faßte ſich Daniel ein Herz und führte Claire in das Gaxrtenzimmer, wo unter Blumen ihr Bild aufgeſtellt war. Jn der Freude ihres Herzens fiel das junge Mädchen dem Jugendfreund um den Hals