Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 2.
44 Der Talisman des Weibes.
haßten Stiftsdame. Und keine Rettung, keine Ausficht auf lichtere Zeiten, nur graue Mauern, enge, dumpfe Räume! Die überſhäumende Jugend in den Kreis grillen hafter Jntoleranz hineingezwängt !
„F< verliere darüber meinen Verſtand,“ murmelte das junge Weib, mit weit geöffneten Augen um ſich ſchauend. „Was thue ich, dem Verhängniß zu entrinnen? Wen rufe ih an in meiner Noth? Wer hilft mir? Habe ih denn Niemand auf dieſer Erde, dem meine Angſt zu Herzen geht? Niemand, Niemand! J<h ſtehe allein !“
Die Uhx ti>te fort und fort in ihx Gedankenſpiel hinein, die Schläge klangen von Minute zu Minute lauter, zulebßt glaubte Jrma deutlich ein Wort zu unterſcheiden. „Mor= gen, morgen,” ſo flang es fort und fort und jagte dex irxegeſhrlen Frau Angſtperlen auf die blaſſe Stirn. „Morgen !“
„Fort muß ih,“ flüſterte ſie, obwohl das Hämmern ihres Herzens ihr faſt den Athem benahm. „Bleiben kann ih nicht | Nie will i< ſein verhaßtes Antliß wiederſehen ! Bon ſeiner Gnade leben fortan, wel<he Shmach! Wer aber nimmt mich bei ſich auf ?“
Die Wanduhx ti>te lauter denn zuvor „morgen, mor= gen“ durch die brütende Stille. Dex Mond ſchwand hinter Wolken, das Kerzenlicht brannte trüber und trüber. Wenn es erloſch, war der gefürchtete Tag angebrochen. Eine Viſion nach der anderen zog an Jrma?’s aufgeregtem Geiſte vorüber. Sie ſah ſi< an der Schwelle des Stiftshauſes ſtehen, ſah ihren Gatten ſpöttiſ<h lächelnd in weiter Ferne entſchwinden, hörte Margarethens heuchleriſchen Gruß und