Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 2.
66 Der Talisman des Weibes.
haben ſich in dieſem Fall nicht angezogen, ſondern abgeſtoßen. Es gibt doh ni<ts Unzuverläſſigeres als unſere ganze Lebensweisheit! Aber da hilft kein Warnen. Was die Voreltern Falſches geſprochen, muß nothwendig für die Nachlebenden wiſſen3werth fein. Da bearbeiten un= ſchuldige Kinder das Gaunerwort: „Einmal iſt keinmal!‘ mit allem Aufwande ihrer no< unentwi>elten Spibſindigfeit, und das ebenſo ſittenloſe: „Wer A ſagt, muß au<h B ſagen!“ Alles ſehr geeignet, künftige Gewiſſensbiſſe zu bez ſchwichtigen,“
„Ja,“ warf der Juſtizrath bedenklich ein, „wie denken Sie in dieſem Falle über das mangelnde B_ Fhrer Frau Nichte?“
„Wäre ſie meine Tochter geweſen, ein Kind meiner Grundſäße, ſie würde zu entbehren verſtanden- haben!“
„Erziehung gegen die Forderungen-des Temperamentes?“ ſagte Dreyſing ungläubig mit dem Auge zwinkernd. „Kunſt gegen Natur?“
„Wir Frauen ,“ erwiederte die Stiftsdame mit über= zeugender Ruhe, „ſind die geborenen Pflegerinnen der Sitte, mag der Unverſtand uns immerhin Unterdrü>te, Sklavinnen, ſyſtematiſ<h aus den Menſchenrechten Gedrängte nennen. Jn unſerer Bruſt lebt ein ungusrottbares Vor= empfinden alles deſſen, was Scham und Sitte ſchädigen oder verleßen fönnte. Nicht äußerer Zwang, ſondern innerſte Nothwendigkeit legt uns die Feſſeln keuſcher Weib= lihfeit an. Schande über jene Frauen, die ſich von Naturrechten etwas vorpredigen laſſen. Mache man die Probe, löſe man die Schranke, führe man das weibliche Geſchlecht
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