Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 2.
Roman von Georg Hartwig. 69
„So bald als thunli<h mögen Sie Jhren Auftrag aus= richten,“ ſagte die Stiftsdame beifällig, „an eine offene Nü>kſprache mit meinem Neffen iſt vorher niht zu denken. Was geſchehen muß, lieber gleich gethan! Jeßbt blutet die Seelenwunde noh und braucht nicht von Neuem aufgeriſſen zu werden. Auf Wiederſehen, lieber Fuſtizrath! Jh denke, Sie bringen es noch ſo weit, mit zu den Auserwählten der Tante Käthe zu gehören. Es kommen nux ganz <har= mante Leute in dieſen Kreis hinein!“ ſ{<loß ſie lächelnd.
„So bin i jeht ſhon ganz <harmirt von dieſer Ausſicht. Wenn es nicht bereits Frühling draußen wäre, würde ih glauben, daß mix ſoeben ein Mailüftchen über's Herz gehuſcht ſei!“ rief der alte Herr mit gewohnter Liebenswürdigkeit. „Alſo ein Ritter in spe vom Orden der edlen Tante Käthe. Auf Wiederſehen!“ — —
Die Natux feierte ihr Auferſtehungsfeſt. Von Tag zu Tag mehrte ſich der Chor der Sänger in den linden, laùen Lüften, und immer vollſtimmiger ſchmetterte ex ſein Lied auf die keimende, knospende Erde herab. Unaufhaltſam rann ihrer Lebensſäfte Strom dur< das Aderngezweig wintermüder Exrſtlingskinder. Die Anemone öfſnete dem linden Frühling8hauche ihx rundes Antliß, dem friſchen Grün der Wieſen entſtieg prahlend die goldflammende Dotterblume, jede ſelbſt eine kleine Sonne, um welche Inſekten ſi< im Kreiſe ſhwangen. Weithin blühten Schlüfſelblümchen, beſcheiden hauchte Blauveilchen ſein Frühlingsglü> in holden Düften aus, Luft und Sonnen-= licht öffneten an Baum und Strauch die ſproſſenden Augen. Jn einem warmen Regen küßte der Himmel ſeiner geliebten