Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 2.
80 Der Talisman des Weibes.
Am anderen Morgen ward Jette zur Maxrktzeit von -
ſämmtlichen Frauen, hohen und niederen Standes, um Nachrichten beſtürmt. Jhre Worte wurden wie eben ſo viele Orakelſprüche aufgenommen und mit wahrem Heiß-= hunger verſchlungen. Allgemeine Enttäuſhung und Jn= * grimm gegen die flettenartigen weiblichen Verwandten hra-= hen ſi<h Bahn neben der tiefen Mißachtung einer ſo unbegreiflihen männlichen Charakterſchwäche.
„Jh denfe niht daran, mir dieſe drei Perſonen zu Tiſch zu laden!“ rief die Bürgermeiſterin. „Das fehlte gerade, daß wir vom Regen unter die Traufe kämen! Du ſagſt kein Wort zu ihm!“ rief ſie ihren arglos nah dem Rathhaus wandelnden Ehegatten an. „Wenn ex ſo viele Damen um ſi< hat, kann ex unſere Geſellſchaft ent= behren !“
„Natürlich!“ höhnte die Apothekerin. „Er braucht uns niht. Jh will’s Jhnen au ſagen warum — aber leiſe !“
Sofort ſte>te ein Dußend Damen athemlos ihre Hüte zuſammen.
„Jette ſagte mix ſoeben, daß der Amtsrichter eine Lieb= ſchaft mit dem jungen Mädchen unterhält !“
„Herr Gott!“ — Das fam unerwartet wie ein Donner= ſchlag, aber ſ<me>te dennoch fo ſüß wie Honigſeim. Einen Augenbli> waren die Köpfe aus einander geprallt, aber noh ſchneller flogen ſie wieder zuſammen.
„a, das fann ih Sie verſichern! Die alte Gelegen= heit8macherin, die Tante, hat ſie geſtern wieder allein ge-= laſſen, und als das Pärchen Jettens Gegenwart bemerkte, iſt das junge Mädchen ganz verwirrt davongeſlürzt !“