Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

130 Unter einem Dache. :

in dieſer Wildniß, irüge ſie ſonſt Verlangen, auf einſamen Wegen der wilden Bergnatur in's Auge zu ſehen? Nur ein ſtarkes Herz erträgt die heiligen Schauer des Hochgebirges, nur gereifte Menſchen ziehts nach der Einſamkeit. Meine Seele frohlo>te: Emiliens Geiſt hat_ſi< aus den Banden befreit, mit welchen die kleinſtädtiſhe Umgebung, die mütterliche Knechtſchaft ihn bedrü>t! Sie iſt ein denkendes, freies Weib geworden! Aber zugleich kam mit dieſer Crfenntniß, mit der heißen Sehnſucht, in dieſer er= wachten Seele den Plaß wieder einzunehmen, den ih vex= loren, die Angſt und Sorge, ob niht ein Anderer das Bild des Gatten ihr verdrängt, ob nicht jede Erinnerung an mich ihr vergällt und verbittert worden. Jh exkannte mit tiefem Weh, daß ih kein Recht an meine Gattin mehr beſiße! Aber ih will, ih kann es niht von ihren Lippen hören, daß ſie mi< haßt, verabſcheut! Darum will ih Sie, die Vertraute Emiliens, Sie, in deren Zügen ih das Gepräge der Wahrheit und Geradheit leſe, um Antwort bitten auf eine Schickſalsfrage: Glauben Sie, daß ih das Herz meiner Frau zurü>gewinnen fönnte? Glauben Sie, daß wir nach: all” den Jahren noch das Glüd finden könnten, das uns in der Jugend vergällt wurde ? Daß die Liebe die Kluft zwiſchen unſeren Naturen zu überbrüd>en vermöchte? Antworten Sie mit rücthaltloſer Ehrlichkeit! Jh werde es nicht leicht tragen, wenn Sie mix ertviedern : „Gehen Sie und kreuzen Sie nie wieder die Wege Jhrer Frau |“ Aber Sie werden bedenken, daß das Schi>ſal zweier Men= {hen in Jhren Händen liegt und werden es denuo ſagen, wenn es der beſte Rath iſt, den Sie mir geben können,“