Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

I e SE

flimmernde Bergſtraße und ſah ihn verſchwinden in dem dur<hleuchteten Hochwald. Ex wax fort!

Sie fühlte den Druck einex ſchweren Verantwortung auf dem Gewiſſen. Aber ſie bereute es niht, daß ſie ein fremdes Geſchi> nah eigenem Ermeſſen entſchieden hatte. Sie glaubte zu Emiliens Beſtem gehandelt zu haben und ſie gelobte ſih’s mit feierlihem Schwur, fürderhin alle Kraft ihres Weſens daran zu ſehen, Emilie froh und glück= li zu machen; ihr an Stelle der Liebe, deren ſie ſie heute beraubt, eine ſichere, niemals ſchwankende Neigung an den Tag zu legen, ſie niemals zu verlaſſen, für ſie zu ſorgen, ſie zu pflegen, in jeder Stunde der Krankheit und des Leids ihr nahe zu bleiben. Das einſame Mädchen, das den Zauber dex Liebe nie gekannt, glaubte voll Zuverſicht an die Macht der Freundſchaft; mit feſten Schritten, ohne Zweifel und Unruhe kehrte ſie in das Haus zurü>; ſie fürchtete ſich niht, der Freundin in die Augen zu ſehen, ſie wax ſich keiner ſelbſtſüchtigen Regung bewußt.

Als ſie das gemeinſame Zimmer erreicht hatte, fand ſie daſſelbe verſperrt. Auf ihr Klopfen kam keine Ant= wort; die Magd, die eben im Gange beſchäftigt wax, ſagte, die gnädige Frau bäte allein bleiben zu dürfen, da ſie zu ſ{<hlafen verſuchen wolle!

Bertha ging mit einem „Es iſt gut!“ die Treppe Herab, aber ſie ſchüttelte ungläubig den Kopf. Schlief Emilie in dem Augenblice, da ihx Gatte von ihr ging. Es war undenkbar! So gleichgiltig konnte der Mann ihr nicht ſein, deſſen Namen ſie trug! Oder warum ber= ſchloß ſie fich ſo ſcheu vor den Augen dex Freundin?