Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle von E. Merk. : 139

„Es iſt der Wunſh meines Lebens, zu reiſen!“ rief Bertha unwillkürlih aus. Jhre alten Träume von einem bewegten, reihen Daſein traten ihr in den Sinn; ſie dachte, wie ſie oft, ſo lange der Vater no< lebte, ſich hinaus geſehnt hatte in die weite, große Welt, als müſſe das Herz ihr zerſpringen vor fieberhaftem Verlangen. Und nun wurde ihr eine Zukunft geboten, wie ſie fie in ihren kühnſten Träumen nicht zu wünſchen gewagt hätte! Eines = braven Mannes Schuß und Neigung ohne die Nüchternheit einer engen Häuslichkeit, ein freies, unabhängiges Daſein, Abwechslung, der Anbli> des Südens, des Meeres, all? der Dinge, nah denen fie ſi<h geſehnt hatte, ſeit ſie zu denken angefangen. Jhr wurde dies geboten! Jhr, die fich ſtets in ſtiller Reſignation von jeder Möglichkeit des Glüdfes ausgeſchloſſen geglaubt hatte. Ein Schwindel ex= faßte ſie vor dieſer Entſcheidung, dex ſie ſi<h ſo plößlih gegenüber geſtellt ſah.

Das Geſicht des Amerikaners war ihr fragend, erz wartungsvoll zugewendet. Jn der That, er war kein hübſcher Mann; zu e>ig und ſteif in den Bewegungen, zu \<li<t und tro>en in der Ausdruc8weiſe, zu wunderlich in ſeiner ganzen Erſcheinung, um einer Frau Leidenſchaft exwed>en zu fönnen. Aber in ſeinen Augen lag ſo viel Gutmüthigfeit, in ſeinem Weſen fo viel ehrliche Beſcheiden= heit, daß er unbedingtes Vertrauen einflößen mußte. Bertha var, troß der furzen Bekanntſchaft, feſt davon überzeugt, daß er nicht zu viel von ſi< geſagt, daß dieſe Hand, die ſich ihx mit freundlicher Bitte entgegenſtre>te, eine feſie Stüße, ein zuverſichtlicher Halt fein würde; ja mehx als