Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle von E, Merk, 43

nach ihr, dem alten, einſamen Mädchen, Verlangen ge=tragen habe.

„Ach!“ ſeufzte ſie plöglich auf; es war doh ſchade, daß dieſes Erlebniß nur eine ſo kurze Epiſode bleiben mußte, daß ſie dieſem lieben Menſchen, der ſich ihr ſo vertrauensvoll zugeneigt, niht mit all der Wärme, diz wie ein ſ{lummernder Quell aus ihrem Herzen hervor= brach, ſeine Güte belohnen, daß ſie dem „guten Kameraden“ niht folgen durfte in die weite Welt! Warum var ſie ihm nicht früher begegnet, warum gerade heute?

Sie ſtand ſtill, exſ<hro>en vor ihren eigenen Gedanken. Sie würde alſo anders gehandelt haben, wenn diéſe uner= wartete Ausſicht für die Zukunſt ſich thr früher eröffnet, wenn Maxwell eine Stunde vor dem Baron mit ihr ge= ſprochen hätte! Jn welchen Abgrund blicfte ſie! Nichk Sorge für Emiliens Wohl, nein, der Wunſch, ſi ſelbſt die Freundin zu erhalten, hatte alſo ihre Worte diktirt? Aus Egoismus halte ſie eine Lüge geſprochen! Eine ſ<hwere Angſt ſchnürte ihr das Herz zuſammen. Nicht das Opfer, das ſie ſelbſt zu bringen hatte, erſhre>te ſie; nein, die Zweifel, die ihr plößli<h aufſtiegen, ob Emilie ihr dieſes Opfer au< danken würde, ob ſie ſelbſt im Stande wäre, der jungen Frau mit ihrer treueſten Nei= gung lebenslangen Troſt und wirkliche Befriedigung zu verſchaffen ? :

Zum erſten Mále ahnte ſie jenen geheimnißvollen Zug vom Weib zum Manne, jene Liebe, die ſie bisher nur einen Jrriwvahn genannt hatte, zum erſten Male frug ſie ſich, ob Freundſchaft Liebe wirklich zu erſeßen vermöchte ?