Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle von E. Merk, : 147

Du weißt ja, Liebſte, wie ih mit meiner Mutter ſtand; der Vater war \rüh geſtorben, ſie war meine einzige Liebe, meine einzige Autorität. Jn unſerer kleinen Heimathsſtadt genoß die Mutter ein gewiſſes Anſehen dur< ihr Ver-= mögen und ihren Titel und ſie war ſtolz auf die Stelſlung, die man ihr einräumte. Als i< faum ſechzehn Jahre alt geworden war, brachten wir nun ein paar Frühlingsmonate in Ems zu. Hiex in dem eleganten, großſtädtiſchen Badeorte fühlten wir uns nicht ſehr behag= li; Niemand bot uns hier die Chrenpläße an, wix wur= den niht früher bedient, als andere Leute, und ſpielten gar feine Nolle. Die Muttex langweilte ſi< und war \roh, wenn irgend Jemand das Wort an uns richtete. Sie fühlte ſih demnach geſchmeichelt und erfreut, als ſich eines Zages der Lieutenant vy. Straaten ihrem Töchterlein näherte und daſſelbe zum Neid der übrigen Damen auf das Lebhaſteſte auszeichnete. Dex junge Baron wax ein ſ[<mu>er Tänzer, ein flotter Cavalier, und feine Aufmerk= ſamkeit umgab uns mit dem Nimbus, welcher uns bisher gefehlt hatte. Jh freute mich, daß er mix die Coux machte, und verlebte die Tage in übermüthigſter Laune.

I< war ein ſo gedankenloſes, oberflächliches Ding ! Als Mama mir eines Tages mittheilte, der Baron habe um meine Hand gebeten, da dachte ih an ein weißes Crepe-= hütchen, an Verlobungsanzeigen in goldenen Lettern, an die Gratulationsfarten meiner überraſchten Freundinnen iweiter nichis. Die Mutter hatte wohl der Titel zu dex Einwilligung in die frühe Verlobung veranlaßt. Da ih reich genug wax, gab es feine weiteren Bedenken und Er-