Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle von E. Merk. 167

D)

Emilie wax durch dieſes ſeltſame Gebahren eine Weile aus ihrer Verſunkenheit emporgeriſſen worden, do<h nun fam die Apathie wieder zurü>; ſie bli>te auf den Brief, ohne ihn zu berühren, zu müde und gleichgiltig war ſie für Alles um ſi< her, um nach der Löſung dieſes Räth= ſels zu verlangen. Was fonnte die Freundin ihr bei aller Liebe ſagen, was ihr no< Troſt zu geben vermöchte, da ja doh Alles, Alles verloren war!

Doch als fie endlich, faſt mechaniſch die Augen auf die haſtigen Schriftzüge geworfen, als ſie den erſten Sah ge= leſen hatte: „Du irrſt, Emilie, wenn Du glaubſt, Dein Gatte ſei falt und gleihgiltig an Dix vorübergegangen. J< habe mit ihm geſprochen —“ da ſprang ſie auf und trat ans Fenſter, um nux xraſ<, im vollen Lichte leſen und die wunderbare, unerwartete Enthüllung in ſi< aufz nehmen zu können. Sie las mit erglühenden Wangen, Wärme kehrte in ihre Adern zurü>; der Wille zum Leben, den fie eben no< völlig todt geglaubt, ward wieder rege, und als fie endlich an die Stelle fam: „Glauben Sie, daß ih das Herz meiner Frau zurücgewinnen fönnte?“ da brach ein lauter, jubelnder Schrei von ihren Lippen. Sie öffnete die Arme, als müſſe der Erſehnte ihr nun entgegen= fliegen; ſie hätte in dieſem Augenbli>e au<h Bertha verziehen und fie in einem neuen Freudenſturm an ſi<h ge= drüdt und ihr unter Weinen und Lachen gedankt für die ſelige Botſchaft, ‘die ſie vom Grabesrande zurü>riß in ſüße, wonnige Träume von Glüc und Seligkeit. Was Bertha von ihrer Schuld und ihrer Lüge ſ{<rieb, das verſtand ſie nicht allſogleih. Jhr Haupt hatte nux Raum für den