Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

NONNI Alfred Edmund Brehm,

begreifen kann, wie er, der doch gewiſſermaßen die Ämter eines Neiſemarſchalls und Obexjägermeiſters in ſeiner Perſon vereinigte und der obendrein von Krankheit niedergeworfen war, alles das in den wenigen den geſellſhaftli<hen Pflichten abgeſtohlenen Augenblicken hat beobachten können. Es iſt eben das Geheimnis des Forſchers, mehr zu ſehen als andere, ſich im geeigneten Augenbli>e zu vervielfältigen und auf der Jagd nicht nux die Bewegungen, ſondern das ganze Gebaren der Tiere ins Auge zu faſſen. Fmmer mehr war nun in Brehm die Neigung für das ſeit längerer Zeit ziemlich allgemein vernachläſſigte Studium des Tier[lebens in den Vordergrund getreten. Er nahm zwar auch jeßt noh vor dem Beginne des die Glieder verrenktenden Ausbalgens und Ausſtopfens ſorgſam alle Maße der neuerlegten Vögel, aber ſolcher meſſenden und beſchreibenden, die Leiche auf das genaueſte zergliedernden und in die Syſteme einordnenden Zoologen gab es ja ehemals übergenug: die Kuſtoden und Muſeumsvorſteher, die Lehrer und Profeſſoren der Zoologie beſchäftigten ſich ja damals faſt aus\<hließli< mit dieſen Aufgaben. Aber über das Leben im allgemeinen, über die geiſtigen Regungen und Fähigkeiten über das Sinnen- und Geſühlsleben namentlich der ausländiſchen Tiere war ſeither nur außerordentlih wenig bekannt und noh weniger zuverläſſig begründet. Die Biologie und Tierpſychologie gehörten früher niht zu den zünftigen Wiſſenſchaften“; erſt na<h Darwins Auſtreten bekamen dieſe Wiſſenſchaften Ziel und Fnhalt, und die vergleichende Tierpſychologie wurde ein wiſſenſchaftliches Bedürfnis.

„Ju den neueren tierkundlihen Werken“, {rieb Brehm in ſeiner Habeſchreiſe, „wird ſonderbarerweiſe das Leben der Tiere kaum berückſichtigt. Man begnügt ſich mit genauen Beſchreibungen des Leibes und wendet weitaus die größte Aufmerkſamkeit auf deſſen Zergliederung. Gewöhnlich erhalten wir nux über das Vorkommen eines Tieres die dürſtigſten Nachrichten, während über die Lebensweiſe, die Sitten, Gewohnheiten, die Nahrung 2c. ein tiefes Stillſchweigen herrſ<t. Wenn wir nun auc dieſe neuere Richtung der For{hung als im hohen Grade erſprießli<h für die Wiſſenſchaft anzuſehen haben, dürfen wir uns doh auf der anderen Seite nicht verhehlen, daß ein Zurückkehren zu den vortrefflichen Lebensſchilderungen, welche die Naturforſcher voriger Fahrhunderte bis zu Cuvier herauf uns hintexließen, ebenfalls nüßlih, ja ſogar notwendig iſt. Die Engländer können uns in dieſer Richtung heutigestags als Muſter gelten. Von ihnen erhalten wir gegenwärtig no< die beſten Lebensbeſchreibungen wenig bekannter Tiere, während unſere deutſchen Forſcher wie die Franzoſen uns nur ab und zu ein Brö>lein ihrer Erfahrungen vorlegen. Von niht naturwiſſenſchaftlih gebildeten Reiſenden gelangen weit beſſere Berichte über dieſen Gegenſtand zu unſerer Kenntnis als von den Forſchern ſelbſt.“

Jn der Erwägung, daß hier Wandel geſchaffen werden müſſe, und in dex klaren Exkenntnis, daß die Tierlebenskunde niht nur ein ebenbürtiger Zweig der Naturforſchung, ſondern ſogar derjenige iſt, welcher weitere Kreiſe mehr anzieht als irgend ein neugefundener Knochen im Skelette der Tiere, wurde in Übereinkunft mit dem Eigentümer und Leiter des damals noch in Hildburghauſen heimiſchen Bibliographiſchen Fnſtituts das große Werk geplant, dem dieſe Zeilen zur Einleitung dienen, das „Flluſtrierte Tierleben“, von dem im Jahre 1863 bereits der erſte Band erſchien. Es war von vornherein dazu beſtimmt, im beabſihtigten Gegenſaße zu den der Schule und Univerſität dienenden ſyſtematiſchen