Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

412 Vierte Ordnung: Naubtiere; erſte Familie: Katen,

wie unſere Hauskage, läßt ſich aber ebenſowenig mißhandeln wie dieſe und ſebt ſi zur Wehre, wenn ihm die Behandlung, welche der Menſch ihm anzuthun beliebt, niht behagt. Man darf von einem Raubtiere ſeiner Art niht Unmögliches verlangen. Seine Raubluſt iſt ebenſo ſ{<wer einzudämmen oder zu unterdrücken wie die des zahmſten Löwen oder unſerer ſeit altersgrauer Zeit unter der Zuchtrute des Menſchen ſtehenden Kate: ſie gehör1 eben zu ſeinem Sein und Weſen, iſt untrennbar von ihm. Auf ſie ſind die falſchen Urteile zurü>zuführen welche man vernimmt. J<h finde es ſehr begreiflih, daß auch ein jung aufgezogener Tiger, wenn er freikommt, Haus- oder andere Tiere überfällt und tötet: denn er vermag nicht, ſeinem ihm angeborenen, ſeiner Geſtalt und Ausrüſtung entſprechenden Triebe zu widerſtehen; ih finde es ebenſo dur<haus in der Ordnung, daß ex den Menſchen, welchem er aus irgend einem Grunde zürnt und grollt, ſeine Übermacht gelegentlich fühlen läßt. Jhn deshalb aber falſ<, treulos, hinterliſtig, tü>iſh und ſonſtwie zu nennen, iſt um ſo ungerechter, als niht überſehen werden darf, daß ein zum freien Räuberleben in der Wildnis veranlagtes Tier, wenn es in engem Käfig eingeſperrt iſt, wohl manchmal reizbar ſein und Anwandlungen übler Laune haben kann.

Aſiatiſche Fürſten ſcheinen no< vor wenigen Fahrhunderten die Kunſt verſtanden zu haben, Tiger vollkommen zu zähmen, ja ſogar zur Fagd abzurichten. „Der Khan der Tatarei“, ſagt Marco Polo, „hat in ſeiner eroberten Stadt Kambalu viele Leoparden und Luchſe, womit er jagt, desgleichen viele Löwen, welche größer ſind als die von Babylon, ſhöne Haare haben und ſhöne Farben, nämlih weiße, ſ<hwarze und rote Striemen, und brauchbar ſind, wilde Schweine, Ochſen, wilde Eſel, Bären, Hirſche, Reche und viele andere Tiere zu fangen. Es iſt wunderbar anzuſchauen, wenn ein Löwe dergleichen Tiere fängt, mit welher Wut und Schnelligkeit er es ausführt. Der Khan läßt ſie in Käfigen auf Karren führen neben einem Hündlein, an das ſie ſi<h gewöhnen. Man muß ſie in Käfigen führen, weil ſie ſonſt gar zu wütend dem Wilde nachlaufen, ſo daß man ſie niht halten könnte. Au<h muß man ſie gegen den Wind bringen, weil ſonſt das Wild ſie riehen und fliehen würde.“

Noch heutigestags laſſen die indiſhen Fürſten gefangene Tiger mit anderen ſtarten Tieren kämpfen, namentli<h mit Elefanten und Vüſfeln. Tachard ſah einen ſol<hen Kampf in Siam. Jn eine Umzäunung von Pfahlwerk führte man drei Elefanten, deren Kopf mit einer Art Panzer bede>t war. Der Tiger befand ſi bereits dort, wurde aber noch an zwei Seilen gehalten. Ex gehörte nicht zu den größten und ſuchte ſi, als er die Elefanten ſah, zu drücen, bekam aber von ihnen ſofort einige Schläge mit dem Rüſſel auf den Rücken, daß er umſtürzte und einige Zeit wie tot liegen blieb. Als man ihn jedoch losgebunden hatte, ſprang er auf, brüllte und wollte ſich na< dem Nüſſel des Elefanten ſtürzen. Dieſen aber hob der Rieſe in die Höhe und gab dem Tiger einen Stoß mit den Zähnen, daß er ho< emporgeſchleudert wurde und nun keinen Angriff mehr wagte, ſondern an den Pfählen hinlief und daran hinaufſprang gegen die Zuſchauer. Zuletzt trieb man alle drei Elefanten gegen ihn, und ſie verſeßten ihm derartige Schläge, daß er wieder einmal wie tot liegen blieb und ſie nachher vermied. Hätte man den Kampf nicht beendet, würden ihn die crboſten Dickhäuter wahrſcheinlih getötet haben.

Kämpfe zwiſchen Büffeln oder Lanzenträgern und Tigern oder anderen Raubtieren ſcheinen zu den Lieblingsvergnügungen der ſüdaſiatiſchen, insbeſondere der javaniſhen, Großen zu gehören. Eduard von Martens und Fagor ſchildern faſt übereinſtimmend ein ſolches Schauſpiel. „Der Reſident nebſt dem Regenten, von allen anweſenden Europäern gefolgt, begaben ſih na< einem Pavillon, um einen Kampf zwiſchen Königstiger und Büffel mit anzuſehen. Ein etwa 6 m hoher walzenförmiger Bambuskäfig enthielt einen bekränzten Büffel. Auf ein gegebenes Zeichen wurde die Thür geöffnet, welche zu einem daranſtoßenden,