Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

428 Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katen.

ſie mit einem Schafe ſamt dem Lamme büßen oder ſo viel Weizen als Erſaß für ſie geben, wie erforderlih war, um die Kaße, wenn ſie an dem Shwanze ſo aufgehängt wird, daß ſie mit der Naſe den Boden berührt, vollkommen zu bede>en,

Dieſes Geſetz iſt für uns von hohem Werte, weil es uns den Beweis liefert, daß man zu damaliger Zeit die Hauskaße als eine ſehr wertvolle Erwerbung betrachtete; zugleich aber ſehen wir daraus, daß die Wildkaße nicht wohl als die Stammmutter jener angeſehen werden darf; denn zu damaliger Zeit gab es auh in England ſo viele Wildkaßen daß es jedenfalls nicht ſhwer geweſen ſein würde, die Jungen davon in beliebiger Menge zu zähmen. Wir brauchen übrigens Beweiſe für die Artverſchiedenheit der Wild- und Hauskage gar nicht von ſo weit herbeizuziehen: die unmittelbare Vergleichung beider Tiere ſpricht entſchieden für die Selbſtändigkeit der einen und anderen Art. Alle Verhältniſſe ſind verſchiedene. Der Leib der Hauskaße iſt um ein Dritteil kleiner und minder kräftig, der am Ende verdünnte oder zugeſpißte, niht gleihmäßig verlaufende Schwanz länger und ſchlanker als bei der Wildkaße, der Kopf ſtärker abgeplattet der Darm fünfmal bei der Wildkaße nur dreimal jo lang als der Leib. Fm Gerippe und namentli<h im Schädelbaue laſſen die Unterſchiede weniger leiht ſich feſtſtellen. Blaſius hob zwar eine Anzahl von ſolchen hervor, Dönitz aber wies durch eine größere Reihe von Schädeln beider Arten die Unhaltbarkeit jener Merkmale überzeugend nah. Allerdings darf man bei derartigen Vergleichungen die Veränderungen, welche der Leib im einzelnen und ganzen durch die Zähmung und längere Gefangenſchaft erleidet, niht außer aht laſſen, muß aber doh auh niht nah dem Fernen ſuchen, wenn das Näherliegende mehr verſpricht. Gerade die Kage, das ſelbſtändigſte unſerer Haustiere, hat unter den Folgen der Gefangenſchaft weniger gelitten als der Hund, das Pferd, Rind oder Schaf: dies beweiſen die Jahrtauſende alten Mumien zur vollſten Überzeugung. Sie iſt noh heute dieſelbe wie im Altertum und unzweifelhaft die nächſte Verwandte der Falbkage, deren Zähmung mit Rückſicht auf die überaus große Tierliebe der alten Ägypter ſih eigentli< ganz von ſelbſt verſteht. Gezähmte Wildkaßen hätten nur von Europa oder Kleinaſien aus na< Ägypten gelangen können, zu einer Zeit, in welcher in Europa ſicherlih no< niemand daran dachte, Einbürgerungsverſugze mit Tieren anzuſtellen; die Falbkaßze aber hatten die alten Ägypter in ihrem Reiche, und ihrer ſcharfen Beobachtungsgabe entging es niht, wel< vortreffliher Hausfreund ſi< aus ihr gewinnen ließ. Für mich iſt die Frage der Abſtammung unſerer lieben3würdigen Miez erledigt.

Gegenwärtig findet ſich die Kaße mit Ausnahme des höchſten Nordens und, laut T\<hudi, des höchſten Gürtels der Andes faſt in allen erſ<hloſſenen Ländern, in denen der Menſch feſte Wohnſiße hat. Fn Europa triſt man ſie überall; in Amerika wurde ſie ſhon bald nah Entde>ung dieſes Erdteiles verbreitet. Auch in Aſien und in Auſtralien iſt ſie ziemlich häufig, weniger jedo< in Afrika, zumal im Fnneren des Erdteiles. Je höher ein Volk ſteht, je beſtimmter es ſi ſeßhaft gemacht hat, um ſo verbreiteter iſt die Kaße. Jn Europa wird ſie von Deutſchen, Engländern und Franzoſen am meiſten geſhäßt und am beſten gepflegt: in ganz Fndien, China und Japan, auh auf Java, gehört ſie zu den gewöhnlihen Haustieren; in China dient ſie, laut Huc, hier und da als Uhr, indem man nach der Enge ihres Augenſterns die Nähe des Mittags beurteilt; in Ägypten genießt ſie als Lieblingstier des Propheten große Achtung, nimmt teil an Aufzügen, wird in Kairo auch öffentli verpflegt, da Vermächtniſſe beſtehen, deren Zinſen man zu ihrer Fütterung verwendet; in Südamerika verkümmert ſie, laut Henſel, hier und da, gedeiht aber in Städten, wo es, wie in Frankrei, Sitte iſt, ſie in den Läden als Feind der Ratten oder zum Staate zu halten, vortrefflih; auf Neuſeeland iſt ſie verwildert. Wo man ſie in ihrem wahren Werte erkannt hat, verbreitet man ſie mehr und mehr. Manche Völterſchaften Aſiens, 3. B. die Mandſchu, treiben no< einen ziemli< bedeutenden Handel mit ihr. Bei den jagdtreibenden Hirtenvölkern