Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Hauskaßze: Fortpflanzung. Mutterliebe. Pflegeluſt. Stiefkinder. 435

Mutter wurde niht müde, immer von neuem wieder das Spiel zu beginnen. Später ſäugte die nämliche Kage junge Kaninchen, Ratten, junge Hunde groß, und Nachkommen von ihr zeigten ſih der trefflichen Mutter vollkommen würdig, indem ſie ebenfalls zu Pflegerinnen anderer verwaiſter Geſchöpfe ſih hergaben.

Eine andere ſäugende Kaße wurde durch irgend einen Zufall plößlih von ihren Kindern getrennt, und dieſe gerieten ſomit in Gefahr, zu verkümmern. Da kam der Beſizer der kleinen Geſellſchaft auf einen guten Gedanken. Des Nachbars Kaße hatte Junge gehabt, war aber derſelben beraubt worden. Dieſe wurde nun als Pflegemutter auserſehen und gewonnen. Sie unterzog ſi bereitwillig der Pflege der Stiefkinder und behandelte ſie ganz wie ihre eigenen. Plößlih aber kehrte die rehte Mutter zurü>, jedenfalls voller Sorgen für ihre lieben Sprößlinge. Sie fand dieſe in guten Händen — und, ſiehe da! beide Kaßenmütter vereinigten ſih fortan in der Pflege und Erziehung der Kleinen und ernährten und verteidigten ſie gemeinſchaftli<h auf das kräftigſte.

Giebel erklärt folhe Beweiſe der Mutterliebe und Pflegeluſt wie folgt. „Die Mieze legt in dieſer Zeit“, d. h. wenn ſie Junge hat, „ihre Blutgier ganz ab und ſäugt ſogar Natten, Mäuſe, Kaninchen, Haſen und Hunde auf, wenn dieſelben an ihre Zißen gelegt werden. Auch darin darf man, obwohl die Anhänglichkeit an die Pfleglinge noh lange ſih äußert, keine eigentliche Liebe erkennen wollen, ſie nimmt die fremde Brut nur an, um den Reiz in ihren Milchdrüſen und Zißen zu ſtillen.“ Dieſe Deutung iſt aber niht ganz zutreffend. Daß Kazenmütter, denen man, unmittelbar nachdem ſie geworfen haben, ihre ſämtlichen Jungen nimmt / infolge des Reizes ihrer ſtroßenden Milchdrüſen ſelbſt darauf ausgehen, ſih andere Säuglinge zu verſchaffen, ältere Junge wieder ſaugen laſſen, junge Hündchen, Häschen, Natten und dergleichen herbeiſhleppen und dieſe an ihr Geſäuge legen, iſt mir allerdings dur< verbürgte Mitteilungen thatſächlih beobachteter Fälle wohl bekannt; ſolche Fälle erſcheinen mir jedo<h aus dem Grunde niht maßgebend zu ſein, weil ſäugende Kagzen, au< wenn man ihnen ihre Jungen läßt, ander8artige hilfloſe Tierchen an- und aufnehmen. Hier handelt es ſih niht mehr einzig und allein um Stillung des durch die überfüllten Milchdrüſen verurſachten Reizes, ſondern um eine Pflegeluſt, welche in der durch die Liebe zu den eigenen Kindern wachgerufenen Gutmütigkeit, um niht zu ſagen Barmherzigkeit, Erklärung findet. Von einem Ablegen der Blutgier kann gar niht geſprochen werden; denn die Mieze raubt, während ſie Funge hat, nah wie vox, ja ſogar eifriger als je; wohl aber darf man an zarte Neigungen und Empfindungen der Kate gegen Unmündige glauben. Wenn es, meine ih, ein Tier gibt, bei welhem ſi<h das, was wir Mutterliebe nennen, in der unverkennbarſten Weiſe bekundet, ſo iſt es die Kaße. Hieran zu zweifeln oder auh nur zu deuteln, zeigt gänzlihen Mangel an Verſtändnis der geiſtigen Äußerungen des Tieres. Man beobachte nur eine Kaßenmutter mit ihren Kindern, und man wird ſicherli<h zu anderen Anſchauungen gelangen.

Keine Menſchenmutter kann mit größerer Zärtlichkeit und Hingebung der Pflege ihrer Kinderchen ſih widmen als die Kaße. Fn jeder Bewegung, in jedem Laute der Stimme, in dem ganzen Gebaren gibt ſi<h Fnnigkeit, Sorgſamkeit, Liebe und Nückfſihtsnahme nicht allein auf die Bedürfniſſe, ſondern auch auf die Wünſche der Kleinen kund. Solange dieſe ſ<wa< und unbehilflih ſind, beſchäftigt ſich die Alte hauptſächlich nur mit ihrer Ernährung und Reinigung. Behutſam nähert ſie ſich dem Lager, vorſichtig ſett ſie ihre Füße zwiſchen die frabbelnde Geſellſchaft, le>end holt ſie eines der Käßchen nach dem anderen herbei, um es an das Geſäuge zu bringen, ununterbrochen beſtrebt ſie ſich, jedes Härchen glatt zu legen, Augen und Dhren, ſelbſt den After rein zu halten. Noch äußert ſich ihre Liebe ohne Laute: ſie ſpinnt höchſtens dann und wann, gleichſam um ſich die Zeit zu kürzen. Die Jungen wachſen heran, und die Mutter ändert im vollſten Einklange mit dem fortſchreitenden Wachstum

28