Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Ein Blick auf das Leben der Geſamtheit.

Alle mit den Ergebniſſen der zeitgenöſſiſchen Tierkunde vertrauten Männer wiſſen, daß in den Lehrbüchern dieſer Wiſſenſchaft der Gebieter der Erde die Reihe der belebten Weſen, welche wir „Tiere“ nennen, eröffnet oder ſchließt: Erſte Ordnung, erſte Familie, einzige Gattung: Menſch, ſo heißt es im Lehrbuche, und es gilt in unſerer Zeit als ſelbſt: verſtändlih, daß unmittelbar hinter dem Homo sapiens der Gorilla oder der DrangUtan folgt. Denn der Menſch iſt nichts mehr und nichts minder als ein Säugetier oder ein Tier mit rotem, eigenwarmem Blute, deſſen Junge von ihrer Mutter geſäugt werden: und jede Mutter, welche ohne zu grübeln und mit namenloſer Wonne ihrem Kinde ſih hingibt und ſo das ſchönſte Bild des Menſchen darſtellt, beweiſt, daß ſie der erſten Klaſſe des Tierreichs angehört; ja auch jeder, ſelbſt der unwiſſenſchaſtlichſte und oberflählihſte Beobachter geſteht zu, daß zwiſchen dem Menſchen und dem Schimpanſen die Ähnlichkeit größer iſt als zwiſchen dem Affen und dem Pferde oder Rinde.

Erſt in der Neuzeit hat die Frage über die Stellung des Menſchen im Reiche der Tiere die allein richtige Beantwortung gefunden, denn unſeren Vorgängern fehlte noh das Beſte: ausreicender Stoff zur Vergleihung. Man kannte genau genug bloß den höchſtſtehenden Menſchen und zu wenig die nächſten Verwandten desſelben. Der allein rihtige Weg der vergleichenden Unterſuhung wies dem Menſchen erſt ſeine natürlichen Verbindungen an.

Die heutige Naturwiſſenſchaft ſeßt unter allen Umſtänden das Exforſchte und Erkannte an die Stelle des Erdachten und Erträumten. Sie vergleicht den gegenwärtigen mit dem geweſenen, den am weiteſten vorgeſhhrittenen mit dem am tiefſten ſtehenden Menſchen, folgt ſeinem Entwielungsgange bis in die tiefſte Nacht der Vergangenheit und gelangt ſo zu einem in vollſter Entwi>elung begriffenen Weſen und damit zu ganz anderen Ergebniſſen, als die Wiſſenſchaft früherer Zeiten zu finden im ſtande geweſen iſt.

Nach dieſer Vorbemerkung, dur welche ſi< das „Tierleben“ ohne Vorbehalt auf den Boden der heutigen Wiſſenſchaft ſtellen will, erſcheint es zwar kaum gerechtfertigt, wenn ih im nachfolgenden das oberſte Glied der Säugetierklaſſe ganz überſpringe oder höchſtens hier und da berü>ſihtige. Aber unſer Buch darf ſih um ſo mehr ausſcließli< mit den übrigen Säugetieren beſchäftigen, als es in Rankes Werk „Dex Menſch“ eine ausführliche Ergänzung aus berufenſter Feder erhalten hat.

Der Begründer wiſſenſchaſtliher Tierkunde und der bedeutendſte ihrer Vertreter im flaſſiſhen Altertume, Ariſtoteles, verteilte die ihm bekannten Tiere auf neun Gruppen: Die lebendig gebärenden Vierfüßer, welche den heutigen Säugetieren nah Aus\<luß der Waltiere entſprechen, die Vögel, die eierlegenden Vierfüßer, unſere Kriechtiere

Brehm, Tierleben. 3. Auflage IT li