Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

DIA Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katen.

Um den lebten Luchs, welcher in Deutſchland erlegt wurde, nicht der Vergeſſenheit anheimfallen zu laſſen, will ih ſeine Jagdgeſchichte hier folgen laſſen, ſo wie ſie mix der glü>liche Jäger, Förſter Marx aus Wieſenſteig in Württemberg, mitgeteilt hat. „Der Winter von 1845 auf 1846 war gelinde und ſhneearm; dennoch hauſte zur Zeit in den württembergiſhen Wäldern ein Wolf, welcher unter dem Namen „Abd el Kader‘ bei den Forſtleuten wohl bekannt war, eifrig verfolgt und endlih auh erlegt wurde. Mitte Januars hörte man wenig von ihm, aber gerade in dieſer Zeit fand ih im Staatswalde Pfannenhalde unweit Reißenſtein eine Stelle, wo ein Neh zerriſſen worden war. Die großen Feten, welche von der Haut dalagen, ließen mich alsbald auf ein größeres Raubtier ſ{hließen. Natürlich hatte ih den Wolf in Verdacht und verdoppelte nun meine Aufmerkſamkeit. Da es aber keinen Schnee gab, konnte ih nur an der ſteten Flüchtigkeit der Nehe beobachten, daß es im Reviere niht ſauber ſei, vermochte jedo<h niht, etwas Verdächtiges zu bemerken. Fn der Nacht vom 11. zum 12. Februar 1846 fiel endlih ein neuer Schnee, und ich ſtellte alsbald meine Unterſuchungen an. Am 13. Februar fand ih eine verdächtige Fährte; das Raubtier hatte auf einer lichten Stelle ein Reh geraubt und es an dem nahegelegenen Bergabhange gegen die Ruine Neißenſtein hingeſhleppt. Das Reh hatte auf einer holzloſen Stelle Heide geäſt und wax von ſeinem Mörder beſ<hli<hen worden. Derſelbe hatte ſih dur einen Buchenbuſch verde>t und von dieſem aus, wie ſih im Schnee deutlich zeigte, einen Saß von etwa 5 m Weite gemacht. Das Reh hatte zu entrinnen verſucht, war aber dur einen zweiten Saß erreicht worden. Das Raubtier hatte es dann getötet und weiter geſchleppt.

„Die Fährte war mir rätſelhaft, zumal ih an dem Gange wohl erkannte, daß ſie niht von einem Wolfe herrührte. Fn der Nacht vom 14. auf den 15. Februar fiel Tauwetter mit Sturm ein, und der wenige Schnee war denn auch bald geſ<hmolzen. Fh machte mich aber mit Anbruch des Morgens in Begleitung zweier Waldſchüßen ſhon vor Tagesanbru<h auf den Weg, um zu kreiſen. Lange Zeit ſpürten wir vergebens; nachmittags aber konnten wix ſagen, daß das fremde Tier in der Bergwand von der Neidlinger-Reißenſteiner Steige an bis zum ſogenannten Pfarrenſteige liege. Es war zweimal aus den Bergabhängen auf die Ebene und dreimal auf den Berg hinauf zu ſpüren; doh entde>ten wir die Fährte, welche infolge des Sturmes verweht und teilweiſe ſhon ganz verwiſcht war, nur nach ſehr langem Suchen. Es war ein Stüc ſ{<werer Weidmannsarbeit.

„JH ſhi>te nun nah Neidlingen nah Schüben; dieſe aber antworteten mir, ſie würden nicht mitgehen, außer wenn man den Wolf friſch ſpüre, nur dann wollten ſie kommen. Jch wußte gewiß, daß das Raubtier in der fraglichen Bergwand ſte>te, allein es war ſchon nachmittags 3 Uhr, und ſo blieb mir nichts weiter übrig, als den Verwalter von Reißenſtein um einen Knecht zu bitten, welchen ih als Treiber verwandte. Derſelbe wurde unterrichtet, möglichſt ſill an den Felſen hinzugehen; ich aber ſtellte mih mit meinen zwei Waldſchüßen vor. Der erſte Trieb blieb erfolglos; im zweiten jedo< und zwar ganz in der Nähe der Ruine Reißenſtein kam mir das Raubtier auf der nordöſtlichen E>e der Ruine zu Geſicht. Es ſ<hli< ſi< ſo nahe an dem Felſen hin, daß ih es nur einen Augenbli> ſehen fonnte, und zwar bloß am Hinterteile, doh war mir dies genug, zu erkennen, daß es kein Wolf ſei; denn für einen ſolchen war die Rute viel zu kurz. Gleichwohl wußte ih no< immer niht, welchen Gegner ih vor mix habe. Jc ſtand auf einem Felſen und hatte eine ziemlich weite Umſchau; allein das Tier mochte mih wohl auch geſehen haben, denn es fiel plößlich in eine große Flucht; doch bekam ih weiter bergabwärts Gelegenheit, in dem Augen: bli>e, als es wieder einmal auf den Boden ſprang, zweimal zu feuern. Es ſtürzte in die vorhandenen Büſche und verendete dort nah wenigen Schritten. Jett erkannte ich freilich, mit welchem Feinde meiner Schußbefohlenen ich es zu thun gehabt hatte. Es war ein ſtarker