Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Tauchen. Atmung. Stimme, 18

freilih ausnehmen, weil ſie ſih eben ihrer hohen Stellung entheben und uns das Säugetier im allgemeinen vor die Seele führen. Dieſes muß als ein klang- und ſangloſes Geſchöpf bezeihnet werden, als ein Weſen, welches im Reiche der Töne fremd iſt und jedes Dhr dur< die Verunſtaltung des Tones beleidigt. Schleiden behauptet zwar, daß der Eſel ein tonverſtändiges Säugetier ſei, weil ſein bekanntes J—A in einer Oktave ſih bewege: ih möchte dieſen Ausſpruh aber doh nur als einen Scherz betrachten und den Eſel vielmehr für meine Behauptung beanſpruchen, d. h. ihn zu den verabſheuung8würdigſten Tonverderbern zählen. Kaum ein einziges Säugetier beſißt eine Stimme, welche unſer Ohr befriedigen oder gar entzüen könnte. Die Stimme der meiſten erſcheint uns in hohem Grade widerwärtig und wird dies um ſo mehr, je größer die Aufregung und Begeiſterung ihres Erzeugers iſt. Jh will nur einen einzigen Vergleich zwiſchen Vögeln und Säugetieren anſtellen. Die allmächtige Liebe begabt den Mund des Vogels mit Klängen und Tönen, welche unſer Herz gewaltſam an ſi reißen: aus dem Maule des Säugetieres aber ſpricht dieſelbe allgewaltige Macht in ohrenzerreißender Weiſe. Welch ein Unterſchied iſ zwiſchen dem Liebesgeſange einer Nachtigall umd dem einer Kage! Hier wird jeder Ton zerquetſcht, verunſtaltet und gemißhandelt, jeder Naturlaut zum quälenden, ohrenzerreißenden Mißklange umgewandelt: dort wird der Hau zur Muſik, die Muſik zu dem herrlichſten und reichſten Liebesgedichte in Klängen und Tönen. Das Liebesflehen der Kabte iſt ein Lied,

„Das Stein? erweichen,

Menſchen raſend machen kann!“ das Lied der Nachtigall iſt

„Nichts als ein Ach,

Das Ahh iſt nichts als Liebe!“

Und nicht bloß zur Zeit der Liebe iſt die Stimme des Säugetieres unſerem Ohre

unwillkommen, ſondern ſtets, ſobald ſie irgend welche Aufregung bekundet, ja auh, wenn dies niht der Fall, faſt immer. Wir alle freuen uns der Worte unſeres Lieblingsdichters:

„Blökend ziehen heim die Schafe“,

ſiherlih aber weniger des Blökens als vielmehr des Bildes der Heimkehr wegen. Das Blöken ſelbſt iſt ebenſo großer Tonunfug wie das Metern der Ziege oder das Grunzen des Schweines, das Quieken der Ferkel, das Pfeifen der Mäuſe und das Knurren des CEichhorns. Es fällt niemand ein, von ſingenden Säugetieren zu reden*, weil man den Menſchen gewöhnli< ausnimmt, wenn man von den Säugern ſpriht, und dann nur von Schreien, Bellen, Brummen, Brüllen, Heulen, Wiehern, Blöken, Med>ern, Grunzen, Knurren, Quieken, Pfeifen, Fauchen reden kann — wahrhaftig niht von angenehmen Tönen. Wir ſind zwar an die Stimmen vieler unſerer treuen Hausgefährten ſo gewöhnt, daß wir ſie zuleßt ebenſo gern vernehmen wie den rauhen Brummbaß eines uns lieb gewordenen Freundes; fragen wir aber einen Tondichter nah dem Tonwerte des Hundegebelles Kaßenmiauens, Roſſewieherns oder Eſelgeſchreies: ſo lautet die Antwort ſicherlih niht anerfennend; und ſelbſt das tonkünſtleriſh verbeſſerte Hunde-Wau-Wau in „Precioſa“ dürfte ſ<werli<h vor dem Ohre eines ſtrengen Beurteilers Gnade finden. Kurz, die Stimme aller Säugetiere, mit Ausnahme des Menſchen, iſt rauh, mißtönig, unbiegſam und unbildſam, und ſogar die, wélche uns zuweilen gemütlih, anſprechend dünkt, hört auf, beides zu ſein, ſobald irgend welche Erregung die Seele des Tieres bewegt, während bei dem Vogel oft

+ Man hat allerdings mehrfa< von „ſingenden“ Mäuſen geſprochen; es bedarf aber unzweifelhaft no< anderweitiger Beobachtung, um jenen Ausdru> zu rechtfertigen. Das „Singen“ der Mäuſe iſt ſicherli< nichts anderes als ein zwitſherndes Pfeifen.