Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

568 Vierte Ordnung: Raubtiere; zweite Familie: Shleichkagen.

einen Ausweg aus dem Leibe des Ungetüms. Oder aber er ſchleicht umher und ſpürt die Stellen aus, wo das gefürchtete Kriechtier ſeine zahlreichen Eier abgelegt hat, und ſcharrt und wühlt hier, bis er zu dem verborgenen Schaßte in der Tiefe gelangt iſt; dann macht er ſich darüber her und frißt in kurzer Zeit, der Wachſamkeit der Mutter ungeachtet, das ganze Neſt aus und wird hierdurch zu einem unſchäßbaren Wohlthäter der Menſchheit. Daß auh die Agypter ſolche Sagen geglaubt haben, daß ſie von ihnen aus erſt jenen Schriftſtellern berichtet wurden, iſt unzweifelhaft; aber die ſonſt ſo genauen Naturbeobachter haben fi< hierbei doh einer großen Täuſchung hingegeben. Denn alle die ſchönen Sagen über unſer Tier ſind falſch. Allerdings iſ es erſt der Neuzeit vorbehalten geweſen, Genaues über die Sitten und Lebensweiſe des Jhneumons zu erforſchen, aber ſchon ſeit einigen Fahrhunderten haben mehrere Reiſebeſchreiber ihren Zweifel über den überwiegenden Nugßen des Jchneumons ausgeſprochen, und die Sagen könnten ſomit als erledigt gelten, wenn Menſchen nicht gar zu zähe an überlieferten und liebgewordenen Geſchichten hingen.

Der Jchneumon übertrifft, wenn er ausgewachſen iſ, an Größe unſere Hausfaße bedeutend; denn die Länge ſeines Leibes beträgt ungefähr 65 cm und die des Schwanzes wenigſtens 45 cm. Er erſcheint aber wegen ſeiner niederen Beine kleiner, als er iſt. Nur ſelten findet man ausgewa<hſene Männchen, welche am Widerriſte höher als 20 cm ſind. Der Körper iſt ſlank wie bei allen Schleichkazen, keineswegs aber ſo zierlih wie bei den Ginſterkaßen, ſondern im Vergleiche zu den meiſten ſeiner Familienverwandten ſogar ſehr fräftig. Dies zeigt am beſten das Gewicht, welches ein ſtarker J<hneumon erreichen kann: es beträgt 7, ja ſelbſt 9 kg. Die Beine ſind kurz, die Sohlen nat und die Zehen faſt bis zur Hälfte mit kurzen Spannhäuten verbunden. Der lange Shwanz erſcheint durch die lange Behaarung an der Wurzel ſehr di>, faſt als ob er allmählich in den Körper überginge, und endet mit einer pinſelartigen Quaſte. Die Augengegend iſt na>t, und deshalb treten die kleinen, feurigen, rundſternigen Augen um ſo mehr hervor. Die Ohren ſind kurz, breit und abgerundet. Der After wird von einer flachen Taſche umgeben, in deren Mitte er ſi öffnet. Ganz eigentümlich iſt der Pelz. Er beſteht aus dihten Wollhaaren von roſtgelblicher Farbe, welche aber überall von den 6—7 cm langen Haaren überde>t werden. Dieſe ſind ſ<hwarz und gelblihweiß geringelt und enden mit einer fahlgelben Spiße. Hierdurch erhält der ganze Balg eine grünlichgraue Färbung, welche zu den Aufenthaltsorten des Tieres vortrefflich paßt. Am Kopfe und auf dem Nü>ken wird die Färbung dunkler, an den Seiten und dem Bauche fahler; die Beine und die Schwanzquaſte ſind dunkelſhwarz oder ganz \<hwarz; doh fommen au< Abänderungen vor.

Die Ratte der Pharaonen iſt niht bloß über das ganze nördliche Afrika ſowie Vorderaſien verbreitet, ſondern dürfte ſich na<h Noa, der jüngſt ihr Vorkommen auch in Weſtafrika, in Loango und am Kongo, nachgewieſen hat, außer in Südſpanien und Nordaſien in ganz Afrika finden ſowie in Madagaskar, wohin ſie vielleiht dur< Menſchen eingeführt iſt. Niemals entfernt ſie ſi< weit von Niederungen. Jhre eigentlihen Wohnpläße in Ägypten ſind die dicht bewachſenen Ufer der Flüſſe und die Rohrdi>ichte, welche manche Felder umgeben. Hier hält ſih das Tier bei Tage auf und bildet ſi zwiſchen den Rohrſtengeln ſ{<hmale, aber höchſt ſorgfältig geſäuberte Gangſtraßen, welche nach tiefen, jedoh niht beſonders ausgedehnten Bauen führen. Fn dieſen wirſt auh das Weibchen in den Frühlings- oder erſten Sommermonaten 2—4 Funge, welche ſehr lange geſäugt und noch viel länger von beiden Alten geführt werden.

Den Namen Jchneumon, welcher ſo viel als „Aufſpürer“ bedeutet, verdient unſer Tiex in jeder Hinſicht. Jn ſeinen Sitten und im geiſtigen Weſen ähnelt der Aufſpürer den geſtaltverwandten Mardern, deren unangenehmen Geruch und deren Liſtigkeit, Diebesgewandtheit und Mordluſt er beſißt. Er iſt im höchſten Grade furhtſam, vorſichtig und mißtrauiſch.