Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Geiſtige Begabung. Verbreitung der Säugetiere. Ml

beherrſchen, zeigt alſo auch ſelbſtändigen Willen und Willenskraft. Es erinnert ſih der Vergangenheit jahrelang und gedenkt ſogar der Zukunft, ſammelt und ſpart für ſie.

Die verſchiedenen Geiſtesgaben beſtimmen den Charakter.

Das Tier iſt mutig oder fur<htſam, tapfer oder ſeig, kühn oder ängſtlich, ehrlich oder diebiſh, offen oder verſ<mißt, gerade oder hämiſch, ſtolz oder beſcheiden, zutraulih oder mißtrauiſch, folgſam oder ſtörriſch, dienſtſam oder herrſ<hſüchtig, friedfertig oder ſtreitluſtig, heiter oder traurig, luſtig oder grämlich, geſellig oder ungeſellig, freundſchaftlih gegen andere oder feindſelig gegen die ganze Welt — und wer könnte ſagen, was ſonſt noh alles!

Eines dürfen wir hier nicht vergeſſen: ih meine die Steigerung, welcher alle Geiſteskräfte des Tieres fähig ſind, wenn ihm Erziehung zu teil wird. Es gibt ebenſowohl geſittete, wohlerzogene oder ungeſittete, flegelhafte, ungezogene Tiere wie Menſchen. Der Erzieher übt einen unendlihen Einfluß auf das Tier aus. Der hauptſächlichſte und vorzüglichſte Erzieher aber iſt der Menſch. Ein einziges Beiſpiel mag genügen: unſer am beſten erzogenes Tier, der Hund, ſoll es ſein. Dieſer wird mit der Zeit ein wahres Spiegelbild ſeines Herrn; er eignet ſih ſozuſagen deſſen Charakter an: der Jagdhund den des Jägers, der Fleiſcherhund den des Fleiſchers, der Schifferhund den des Schiffers, der Lappen-, Eskimo-z, Jndianerhund den ſeiner bezüglichen Gebieter. Männer find durchaus beſſere Tiererzieher als Frauen; dies beweiſen oder bewieſen die Mopſe, die Hunde und Katen einſam ſtehender Frauen oder Jungfrauen: ſie ſind regelmäßig verzogen, niht erzogen. Das Tier verlangt Ernſt und Feſtigkeit von dem, welcher es lehrt, nicht aber zu große Milde und Wankelmut.

Bei der Einzelbeſchreibung der Säugetiere werde ih niht verfehlen, zu meinen Behauptungen auh Beweiſe zu liefern.

Die Verbreitung der Säuger exrſtre>t ſih auf alle Meere, Feſtländer und größeren Fnſeln der Erde. Nur die Jnſeln des hohen Meeres, welche nie mit einem Feſtlande zuſammenhingen, beſißen keine eingeborenen Säugetiere. Doch iſt der Heimatkreis der einzelnen Säugerart ein beſhränkter. Nur das Meer geſtattet den Bewohnern aus unſerer Klaſſe große Willkürlichkeit der Bewegung und Ortsveränderung, allein immer niht in demſelben Grade wie dem Vogel die Luft. Auch die Meerſäuger beweiſen, daß ihre Klaſſe dem Lande und niht dem Waſſer angehört; denn ſelbſt ſie ziehen wenigſtens teilweiſe die Küſte dem offenen Meere vor.

Auf dem Feſtlande nimmt der Verbreitungskreis der Säugetiere viel engere Grenzen an als in dem Meere. Viele Arten haben ein ſehr kleines Vaterland. Man hat die Länder der Erde mit Rü>kſicht auf ihre tieriſhen Bewohner zu gewiſſen Reichen vereinigt und dieſe tiergeographiſche genannt. Jedes dieſer Reiche, deren wir ſe<s unterſcheiden und auf der beifolgenden Karte überſichtlih darſtellen, hat immer ſeine ihm eigentümlichen tieriſhen Einwohner.

Das erſte Reith, das aliweltlih-nordiſ<he, umfaßt ganz Europa, Nordafrika bis zur Sahara und ganz Aſien mit Ausnahme von Südarabien, Vorder- und Hinterindien und Südchina nebſt den zugehörigen Fnſeln. Dieſes Reich iſt ausgezeihnet durch den faſt ausſ<hließlihen Beſiß der eigentlihen Maulwürfe und durch ſeinen Reichtum an Luchsarten, welche leßteren fonſt überhaupt kaum in der Alten Welt und in der Neuen nur im äußerſten Norden gefunden werden. Von anderen Raubtieren ſind ihm zwei Dachsarten eigen. Unter den Hirſchen, Rindern und Antilopen weiſt es mehrere eigentümliche Gattungen auf, und die ganze Gruppe der Schafe und Ziegen iſt mit Ausnahme von zwei Arten auf dieſes Reich beſchränkt. Viele Gattungen und Arten von Nagern werden einzig und allein hier gefunden, und nux wenige Arten von Wühlmäuſen, Bilchen und Springmäuſen leben anderswo.