Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
416 Elfte Ordnung: Paarzeher; dritte Familie: Horntiere.
vorher ein anderes Stück dur ein eigentümliches Zuni>ken und ein niht minder abſonderliches Entgegenſchreiten zum Aufſtehen eingeladen oder zur Ablöſung beſtimmt zu haben. Erſt wenn ſi<h dieſes erhob und die Wache übernahm, legte ſih jenes nieder. Ungeachtet dieſer Vorſicht kann man nicht ſagen, daß die Saigas beſonders begabte Tiere wären. Sie bethätigen nur geringe Gewandtheit, dur<hſchnittlih niht eben ſcharfe Sinne und unbedeutende geiſtige Fähigkeiten. Erwachſene laufen zwar ſo ſchnell, daß weder Pferde noh Windhunde ſie einholen können, jüngere werden aber leiht atemlos, und auch die älteren fallen vereinten Anſtrengungen der Raubtiere, beiſpielsweiſe der Wölfe, bald zur Beute. Jhr Gang iſt querbeinig und ſieht deshalb niht anmutig aus, weil ſie den Hals weit vorſtreŒen und den Kopf niederhängen laſſen; die Sprünge greifen zwar ziemlih weit aus, erinnern aber faum noch an die zierlichen Säße anderer Antilopen, ſind vielmehr plump und ungeſchi>t.
Unter ihren Sinnen ſteht der des Geruches obenan, denn man bemerkt, daß ſie vorzüglich winden; das Geſicht ſcheint ſehr hwa<h zu ſein, denn ſie laufen bisweilen, von der Sonne geblendet, auf Wagen zu oder ſehen ſi< angeſichts eines Feindes unentſ<loſſen und blöde um, als ob ſie den Gegenſtand niht zu erkennen vermöhten. Auch von dem Verſtande dieſer Tiere läßt ſih ſ<hwerli<h etwas Rühmliches ſagen. Sie ſind ſcheu, wie alle Steppentiere, aber keineswegs überlegend flug und wiſſen ſi< bei wirklichen Gefahren ſelten in verſtändiger Weiſe zu helfen. Auch unterſcheiden ſie kaum zwiſchen ihren gefährlichen Feinden oder anderen harmloſen Tieren, begeben ſi vielmehr, ſobald ſie ein fremdes Weſen gewahren, ſofort auf die Flucht, laufen zuerſt zuſammen, ſehen ſi< zagend um und fliehen dann lautlos in einer langen Reihe, ſelbſt auf der Flucht noc beſtändig hinter ſich bli>end. Der Bo geht in der Regel voran, doh übernimmt auc ein Alttier zuweilen die Leitung. Eine Stimme vernimmt man nur von den Jungen, welche wie Schafe blöken; die Alten ſind immer ſtill.
Die Äſung der Saiga beſteht vorzugsweiſe aus Salzkräutern, welche die ſonnigen, dürren, von Salzquellen öfters unterbrochenen tatariſchen Steppen hier und da in ungeheuern Maſſen bede>en. Nach Pallas ſollen die Tiere nur rü>wärts gehend und immer von der Seite weiden, weil ihnen die vorhängende Naſe verwehrt, anders zu äſen. Ebenſo ſollen ſie beim Trinken das Waſſer niht allein dur< den Mund, ſondern auh durch die Naſe einſhlürfen. Beide Angaben, von denen die leßtere ſhon von Strabon herrührt, ſind, wie ſelbſtgepflegte Gefangene mir bewieſen haben, gänzlih aus der Luft gegriffen. Wohl infolge der eigentümlichen Nahrung erhält das Wildbret der Saiga einen ſcharfen, balſamiſchen Geruch, welcher wenigſtens den Neuling derartig anwidert, daß er niht im ſtande iſt, es zu genießen. Die Paarungszeit beginnt gegen Ende November; die Böke pflegen um dieſe Zeit heftig miteinander zu kämpfen. Die Rien gehen trächtig bis zum Mai und ſeben, gewöhnlih ſchon vor der Mitte dieſes Monates, ein einziges, anfänglich ſehr unbehilfliches Junges.
Ungeachtet des ſchle<ten Wildbrets jagen die Steppenbewohner Saigas mit Leidenſhaft. Man verfolgt ſie zu Pferde und mit Hunden und holt ſie in der Regel ein, wenu ſie weit flüchten müſſen. Wie einigen anderen Antilopen werden ihnen man<hmal unbedeutende Wunden gefährlich. Die Kirgiſen hauen Pfade in das Steppengras und Schilf, ſchneiden hier die Halme bis zu einer gewiſſen Höhe ab und treiben ſodann zu Pferde Herden von Saigas hinein; dieſe ſollen ſich an den ſharfen Spitzen des Rohres verleben und den Berwundungen erliegen. Häufiger erlegt man ſie mit dem Feuergewehre, und hier und da fängt man ſie mit den Beizvögeln. Zu dieſen nimmt man auffallenderweiſe niht Edelfalken, ſondern Steinadler, welche von Haus aus zu den gefährlichſten Feinden der Antilopen gehören und willig und gern der ihnen angeborenen Jagdluſt folgen. Auch Wölfe richten arge Verwüſtungen unter den Saigas an und freſſen die getöteten bis auf Schädel und Gehörn