Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
426 Elfie Drdnung: Paarzeher; vierte Familie: Gabelhorntiere, Boden, daß man die einzelnen Glieder, wie die Speichen eines ſi drehenden Rades, nicht mehr unterſcheiden kinn. Wenn ſie flüchtig werden, laufen ſie, nah Angabe Canfields, niemals geradeswegs fort, vielmehr im Ziéza> vor dem Gegenſtande ihrer Furcht hin und her und bleiben dann auf etwa 100 Schritt Entfernung ſtehen; auh pflegen ſie zunächſt etwa 30—40 Schritt weit zu trollen und zwar nah Art des Damwildes, indem ſie mit allen vier Läufen zuglei<h aufſpringen. Nach dieſer Einleitung aber ſtre>en ſie ihren Leib und durchmeſſen in voller Flucht große Stre>en. Auch ſhwimmen ſie, wie Audubon und andere verſichern, mit Leichtigkeit über breite Ströme. Auch wenn es gilt, beſſere Äſung aufzuſuchen, durchkreuzen ſie die Gewäſſer, und die Fndianer haben hierauf ſogar eine beſondere Jagdweiſe begründet. Die Gabelbö>e ſind ſharfſinnige Tiere. Sie äugen in weite Ferne, vernehmen ausgezeihnet und wittern einen unter dem Winde heranſchleihenden Feind auf mehrere hundert Schritt. Wachſam und ſ<heu, auch bis zu einem gewiſſen Grade ïlug und jedenfalls vorſichtig, wählen ſie ihren Stand und insbeſondere die Pläße, auf denen ſie um die Tagesmitte wiederkäuend zu ruhen pflegen, immer ſo, daß ihnen eine freie Ausſicht niht verwehrt iſt, wiſſen auch die _herrſhende Windrichtung trefflih zu benugen und ſtellen außerdem beſondere Wachen aus. Menſchliche Niederlaſſungen meiden ſie ſorgſam, bekümmern ſih dagegen wenig um Herdentiere, niht einmal um Pferde und Rinder, weiden vielmehr oft ohne Scheu in deren Nähe. „Der Gabelbo>“, ſagt Freiherr von Thielmann, „ſteht nur in offenem Gelände und meidet jedes Gehölz; zu Fuß iſt er daher nicht leicht zu jagen, doch läßt er ſi< ohne Mühe anreiten und noch leichter anfahren.“ Als auffallend betont dieſer Gewährsmann wie auh Finſch, daß die Tiere vor dem heranbrauſenden Eiſenbahnzuge niht immer fliehen, ſondern demſelben zuweilen eine Stre>e weit das Geleite geben. Ein einzelner ſih ihnen nähernder Menſch erſchre>t ſie jedenfalls mehr als ein vorüberfahrender Zug.
Die Paarunagszeit beginnt im September. Ungefähr 6 Wochen lang zeigen ſih die Böke ſehr erregt und kämpfen unter ſi<h mit einer gewiſſen Wildheit. Das Tier ſeßt frühſtens im Mai, ſpäteſtens Mitte Juni, gewöhnlich zwei den Eltern gleihgefärbte, ungefle>te Kälber; S@maltiere bringen ſelten mehr als ein einziges. Wenn das Kalb einmal 14 Tage alt iſt, hat es hinlänglihe Kraft und Schnelligkeit erlangt, um mit der ſhnellläufigen Alten einer Verfolgung des Wolfes oder eines andern vierfüßigen Feindes zu entgehen. Zuweilen geſchieht es, daß Jſegrim ein noch hilfloſes Kalb entde>t. Dann entfaltet die Mutter ihrem furchtbaren Feinde gegenüber den bewunderung8würdigſten Mut, ſpringt gegen ihn an, verſucht, ihm mit dem kurzen Gehörne einen Stoß beizubringen, gebraucht au< wohl ihre Vorderläufe, mit denen ſie tühtige Schläge zu geben weiß, und wenn der Wolf niht gerade in voller Kraft oder vom Hunger arg gepeinigt iſt, ſ{<lägt ſie ihn wirklih oft in die Flucht. Prinz von Wied fand zu Ende des Aprils ein eben geſeßtes Kälbchen in der Prairie. Es dute ſih beim Erſcheinen der Reiter auf den Boden nieder und hätte leiht mitgenommen werden können, wäre man mit den nötigen Einrichtungen hierzu verſehen geweſen. Die Mutter dieſes Tierchens, welche nicht in der Nähe, ſondern wahrſcheinlih gerade nah Äſung ausgegangen wax, hatte an dem beſtimmten Plaße das Junge zurü>gelaſſen, wie dies unſere Hirſcharten ebenfalls zu thun pflegen.
Wie alle Wiederkäuer wa<hſen auch die jungen Gabelbö>te verhältnismäßig fehr raſh heran. Schon gegen Ende des Julis brechen beim Boke wie beim Tiere die Hörner dur und zwar zunächſt kurze, ſtumpf kegelförmige Spißen, welche im Dezember 2—5 ecm Länge erreiht haben, von nun an aber niht weiterwaWſen, vielmehr abgeworfen und dur neue erſeßt werden. Dieſer Hergang weicht jedoh ſo vollſtändig von dem Geweihwechſel der Hirſche ab und iſt an und für ſi< ſo merkwürdig, daß ih ausführlih auf ihn eingehen muß.