Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
Gabelbo>: Leben8weiſe. Fortpflanzung. Gehörnwechſel. 427
Der erſte, welcher über den Hornwe<Whſel Beobachtungen angeſtellt und dieſelben niédergeſchrieben -hat, iſt Canfield; da ſeine im September 1858 an Baird geſandte Abhandlung über dieſen Gegenſtand von dem leßtgenannten Forſcher jedo<h erſt im Fahre 1886 veröffentlicht wurde, gebührt Bartlett, welcher im Londoner Tiergarten gefangene Gabel: böde pflegte, der Ruhm, die Wiſſenſchaft mit dem erſten Berichte über die unglaublih ſcheinende Thatſache bereichert zu haben. Beider unter ſih durhaus übereinſtimmende Angaben ſind neuerdings dur< anderweitige Beobachtungen vollkommen beſtätigt worden: ſo liegt mir ein Bericht von Müßel vor, welcher na< eigenen Beobachtungen den Gehörnwechſel des Tieres ſo genau ſchildert, daß ih ihn dem Nathfolgenden aus\<hließli<h zu Grunde legen würde, hätte i< mir es niht zum Geſeße gemacht, das Erſtlingsrecht eines Beobachters unter allen Umſtänden zu wahren.
Nach einer längeren Einleitung berichtet Bartlett, daß der von ihm gepflegte Gabelbo> fleine Hörner trug, welche von der Mitte des Oktobers an plößlih raſh zu wachſen ſchienen, indem ſie niht allein an Länge zunahmen, ſondern gleichzeitig auh ſi< weiter ausßeinander richteten. Am Morgen des 7. Novembers teilte der Wärter nicht ohne Aufregung mit, daß der Gabelbo> eines ſeiner Hörner verloren habe; Bartlett begab ſi<h infolge dieſer Meldung in den Stall und kam dort gerade an, um zu ſehen, daß auch das zweite Horn abgefallen war. Mit nicht geringem Erſtaunen bemerkte er bei genauerer Unterſu<hung des Tieres zwei neue Hörner an der Stelle der alten, welche mit langen, geraden und weichen Haaren bekleidet und deren Knochenkerne mit einer hornigen Maſſe umhüllt waren. Von einer Blutung, wie ſolche bei Verluſt wirklicher Hohlhörner oder beim Abwerfen der Geweihe unbedingt eintritt, war nichts zu bemerken. Die neuen Hörner ſchienen di>er zu jein als die Höhlung der alten, ein Umſtand, welcher darin ſeine Erklärung fand, daß die dichten Haare am Grunde das durch jene allmählih bewirkte Abſtoßen der alten Hüllen verdet hatten. Aus dem raſchen Wachstume der neuen Hörner ließ ſih_ mit Sicherheit auf einen durchaus natürlichen Hergang ſchließen: das Tier mußte alſo ſein Gehörn wechſeln. Dieſe Annahme erhielt dur< Canfields infolge des Bartlettſchen Berichtes veröffentlichte Mitteilungen vollſte Beſtätigung. Ein von dem genannten Amerikaner gepflegter Gabelbo> erreichte ein Alter von faſt 3 Fahren und warf in dieſer Zeit regelmäßig ab, ſo daß niht allein ein zweimaliger Wechſel des Gehörnes, ſondern auch deſſen Weiterentwielung beobachtet werden konnte. Bevor ih Canfield weiter folge, will ih Müßels Erfahrungen wiedergeben, weil ſie die Bartlettſchen Angaben nicht unweſentlich erweitern und vervollſtändigen.
„Der junge Gabelbo>“, ſo ſchreibt mir unſer Künſtler, „trug bei ſeiner Ankunft üm Berliner Garten Spießchen von nur etwa 3 em Länge und gedrungen kegelförmiger Geſtalt, welche ihre Spizen nach innen kehrten und das verlängerte Haar des Oberkopfes wenig überragten. Fn der erſten Zeit ſchienen ſie niht an Länge zuzunehmen, und erſt nah beinahe 4 Monaten mate ſih ein lebhafteres Wachstum bemerkbar, ſo daß ſie zulebt wohl 9 cm an Länge erreicht hatten. Eines Morgens fand der Wärter ein abgeworfenes Horn. Dasſelbe hatte eine der äußeren Kegelgeſtalt entſprehende, trihterförmige Höhlung, war nur an der Spitze maſſiv, an den Nändern des Trichters dagegen ſehr dünn, dort außen glatt, gegen die Wurzel zu rindenartig gefurht und ab und zu bekleidet mit einzeln ſtehenden Haaren, welche der Hornmaſſe entſproßt zu ſein ſchienen. Die Zahmheit des Tieres geſtattete genaueſte Unterſuchung ſeines Kopfes. Der Knochenkern, welcher das abgeworfene Horn getragen hatte, war mit einer ſhwärzlichen, dünnen, weichen, kautſchukartigen Haut bede>t, welche ſi< den Formen des Knochens mit allen ſeinen Furchen genau anſ<loß. Lebtere, in deren Tiefen an einzelnen Stellen Spuren einer geringen Blutung extennbar waren, liefen in engen Schraubenlinien der Spige zu. Dieſe dünne Haut bildete