Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
428 Elfte Ordnung: Paarzeher; vierte Familie: Gabelhorntiere.
die Unterlage zu der Spiße des werdenden Hornes, welches ſi< vom Beginne an lebhaft, der ganzen Länge des mitwachſenden knöchernen Stirnzapfens nah und, von jedem Punkte der Oberfläche des lezteren aus, entwi>elt und überraſchend ſ{<nell an Größe zunimmt. Schon im Auguſt war es bis auf 17 cm Länge gediehen, und ſein größter Durhmeſſer betrug bereits 4—5 cm. Tiefe Furchen zeichneten und perlenartige Hornwucherungen ſ<hmüd>ten es hier; außerdem war es mit vielen aus der Hornmaſſe entſproſſenen Haaren beſeßt. Das andere Horn ſaß ſeinem knöchernen Stirnzapfen lange Zeit lo>er auf und ſchien nur no< mit ſeinem unteren Rande an der Stirnhaut zu haften; denn man konnte es, wenn man es mit den Fingern anfaßte, ein wenig um ſeine Achſe drehen, ohne daß das Tier deshalb im geringſten Schmerz oder auh nux Unbehagen geäußert hätte. Erſt nah mehreren Monaten verlox der Bo die gleichzeitig mit der zuerſt abgeworfenen reif gewordene Spie, welche augenſcheinli<h als fremder Körper, d. h. ohne organiſchen Zuſammenhang, aber mit ſtörender Wirkung auf die Entwi>kelung des Neuwuchſes, auf dieſem geſeſſen hatte. Wahrſcheinlih dur eine Verleßung des Stirnzapfens, welche das lebhafte Tier ſi< zugezogen hatte, war dem Horne eine Richtung nah außen gegeben worden, wogegen die Spiße des zuerſt abgeworfenen ſi ſtark nah innen gekrümmt hatte. Die lappenartigen Gabelſproſſen begannen im Auguſt hervorzutreten, erhielten jedo<h zunächſt nur das Anſehen einer großen, ſcheibenförmigen Geweihperle. Schon am 19. Oktober warf derſelbe Gabelbo> zum zweitenmal ab und zwar zunächſt das oben erwähnte, zuleßt gewe<ſelte, ſchief na< außen gewachſene Horn, welches eine Länge von 13 cm erhalten hatte. Nur ein Éleiner Teil der Spiße war maſſiv, und die Stärke der Hornwand nahm glei<hmäßig gegen den Wurzelrand ab, ſo daß man eine bis gegen die Spite verlaufende Höhlung bemerken konnte. Der Außenrand war ſpärlih, der Fnnenrand dicht mit weißen Haaren beſtanden, dex ſehr kurze, d. h. höchſtens 3 cm lange, Stirnzapfen di> überde>t mit jungem Horngebilde, welches eine ſcharfe Endſpite bildete, ſehr gefäßreih, aber empfindungslos zu ſein ſchien und ohne Anwendung erheblicher Kraft noh gebogen werden konnte. 14 Tage ſpäter fiel auh das zweite Horn ab.“
Da der in Rede ſtehende Gabelbo> leider bald darauf einging, konnten keine weiteren Beobachtungen angeſtellt werden; immerhin aber war vollſte Beſtätigung der Angaben Canfields erlangt worden. Von dem Lebtgenannten erfahren wir nun noch folgendes. Die dritten Hörner ändern ihre Form inſofern, als ſie niht mehr einen runden, ſondern einen eiförmigen Querſchnitt zeigen Und die Gabelplatte anſeßen. Es bildet ſi< nämlich an jeder Wurzel des Stirnzapfens, anſänglih getrennt von dieſem, ein zweiter Hö>er, alſo gleihſam ein zweites Paar von Zapfen, vereinigt ſih jedo<h ſehr bald und für immer mit dem älteren Knochenkern und dient nux no< zum Aufbaue des Gabelfortſazes. Die Hörner ſind nur 283 cm lang und haben 8 cm lange Zapfen. Bis zum nähſten Funi entwi>elt ſih endlih das vollſtändige Horn, welches fortan nah jedem Wechſel mehr oder weniger dasſelbe bleibt, jedo<h etwas an Größe zunimmt. Man darf annehmen, daß die neue Hornmaſſe dur Verſchmelzung der zwiſchen dem Knochenkerne und der Hornſcheide befindlichen Haare entſteht, welhe zu der gegebenen Zeit zu wuchern beginnen und damit die alten Hörner abtreiben. Vom November bis zum Januar iſt eine ſtreng ſcheidende Grenze zwiſchen der Behaarung und dem eigentlihen Horne niht bemerkbar, das ganze Neugebilde vielmehr dicht mit Haarbaſt bede>t, welcher nicht abgefegt wird wie bei den Hirſchen, ſondern durch Nachwachſen der Hornmaſſe allmählich abfällt. Fm Sommer drü>t ſich die Grenze zwiſchen Haar und Horn ſehr ſcharf aus.
Alt eingefangene Gabelbö>e ſcheinen ſi niht an den Verluſt ihrer Freiheit zu gewöhnen. Diejenigen Stü>e, welche man im Winter bei tiefem Schnee einfangen konnte, zeigten ſich, in einem umſhloſſenen Gehege frei gelaſſen, höchſt gutmütig, ja faſt zuthunlich,