Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
Gabelbo>: Gehörnwechſel. Gefangenleben. Jagdweiſen. 429
aber nur ſo lange, als ihre Abſpannung und Entträftigung währte. Sobald die Hungersönot überſtanden war, regte ſih die Sehnſucht nah der unbegrenzten Freiheit in ihnen, und ſie bekundeten ihre urſprünglihe Wildheit wieder. Dann rannten und ſprangen ſie wie unſinnig gegen die Umzäunung ihres Geheges an und wüteten in dieſem ſo lange, bis ſie ſi< tödlih geſchädigt hatten. Auch die bald nah der Geburt aufgenommenen Kälber ſterben gewöhnlih na< kurzer Gefangenſchaft, falls man ſie niht mit ganz beſonderer Sorgfalt behandelt. Canfield hat hierüber reihe Erfahrungen geſammelt. Dieſen zufolge ſind junge, erſt einige Tage alte Gabelbö>chen leiht, eine Woche alte ſhon viel ſchwieriger zu fangen und kaum am Leben zu erhalten. Von einigen 20 Kälbchen, welche der oben genannte Berichterſtatter im Laufe dreier Sommer einfing, gelang es ihm nicht, mehr als 2 großzuziehen und zwar, indem er ſie zunächſt aus einem Kuhhorne mit umwidelter Federſpule ſaugen ließ und ſpäter gewöhnte, friſche, ſüße Kuhmilch zu trinken. Faſt alle gefangenen Kälbchen litten, unzweifelhaft infolge der für ſie ungeeigneten Kuhmilch, anfängli<h an Dur(hfall, lebten, wenn ſie dieſen glü>lih überwunden, 2 oder 3 Monate lang, wuchſen langſam, erkrankten an ſkrofelartigen Geſhwüren oder Entzündungen der Glieder, wurden lahm, fielen vom Leibe und gingen ein. Unſer Tierfreund dürfte jedenfalls günſtigere Ergebniſſe erzielt haben, wenn er den jungen Wildlingen als Amme eine tü<htige und gutmütige Ziege gegeben haben würde, denn, wie er ſelbſt ſagt, iſt die Milch der Gabelziegen ſo reih oder fett und ſüß, daß ſie dur<h Kuhmilch unmöglich erſebt werden tann. Canfield verſichert, niemals eine in der Gefangenſchaft erzogene Gabelziege geſehen zu haben, und hält deshalb die Böcke für ungleich kräftiger und zäher; ih dagegen habe zu bemerken, daß leßtere Anſicht bereits widerlegt worden iſt, da man lebende Gabelziegen nah Europa gebracht hat.
Der eine Gabelbo> an welchem Canfield ſeine Beobachtungen über den Gehörnwechſel anſtellte, war ein ebenſo artiges und ſpielluſtiges wie dreiſtes und unruhiges Geſchöpf, hielt ſich am Tage, wenn er äſte, ſtets in Sicht des Hauſes auf und {lief des Nachts in deſſen Nähe, liebte es aber, mit den Hunden zu jagen, und nahm dann, weil keiner von dieſen ihm zu folgen vermochte, ſtets die Spie der Meute, auh wenn leßtere des Nachts einem Heulwolfe na<ſpürten. Fn Geſellſchaft ſeines Pflegers ging er ſehr gern auf die Jagd, und wenn er dabei ihn oder die Hunde aus den Augen verlor, lief er geradeswegs nach Hauſe, einmal 12 engliſche Meilen weit. Oft geſellte er ſi zu ſeinen wilden Gefährten, wenn dieſe das Thal freuzten oder zur Tränke kamen; ſtets aber kehrte er wieder zurü>, auh wenn er, wie er zuweilen that, jenen bis auf die Hügel gefolgt ſein ſollte. Willig geſtattete er, daß man ihm den Kopf krauete oder mit ſeinem Gehörne ſpielte, ließ ſich dagegen an feinem anderen Teile ſeines Leibes berühren und zeigte ſih, wenn man dies verſuchte, ebenſo unnahbar und ſtö>iſh wie außerdem liebenswürdig und fromm. Leider erHielt er von einem Maultiere einen S<hlag, welcher ihm den Lauf zerbra<h. Geſchient und verbunden, erholte er ſi<h zwar raſh wieder, verlor jedoch ſeine frühere Gewandtheit und fiel deshalb den Wölfen zur Beute. Die nah Europa gebrachten Gabelböcke haben ſich ausnahmslos ſ<le<t gehalten und find verſchiedenen Krankheiten erlegen. Ein im Berliner Tiergarten gepflegter Bok ging an Eingeweidewürmern zu Grunde.
Noch vor 20—25 Fahren betrieb man die Jagd des Gabelbo>es ziemlich läſſig, nah Angabe des Prinzen von Wied „nur im Notfalle, wenn man kein Biſonfleiſh haben konnte“. Zu jener Zeit war der Fndianer noch der ſ{<hlimmſte Feind des Tieres, gegenwärtig hat er dem europäiſchen Jäger ſchon vielfah weichen müſſen. Wie Audubon mitteilt, joll der Jndianer ſeine Jagdpläne dem Wolfe abgelauſcht, gleich dieſem auf die Neugier des Wildes bauend, ſonderbare Stellungen eingenommen, mit Armen und Beinen auffallende Bewegungen ausgeführt und ſi< ſo den überraſchten Gabelböcken bis auf Schußweite