Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

430 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.

genähert haben; der genannte Forſcher verſichert auh, daß er ſih von der Wahrheit dieſer Angaben ſelbſt überzeugen konnte. „Während eines unſerer Jagdausflüge“, ſagte er, „tamen wix in Sicht eines Gabelbo>es und beſchloſſen, ihn in der angegebenen Weiſe in Erſtaunen zu ſeßen. Wix legten uns alſo auf den Rücken in das Gras und erhoben erſt eines unſerer Beine und dann das andere in die Luft. Merkwürdig genug, der Gabelbo> ging langſam gegen uns an, obwohl mit größter Vorſicht und mit entſchiedenem Mißtrauen. Aber ex nahete ſi< uns do<h mehr und mehr und kam wirkli<h in Shußnähe.“ Gegenwärtig weiß man, laut Finſ<h, im Weſten nihts mehr von ſolher Jagd und belächelt jene Erzählungen als Jagdgeſchichten. Dennoch erwähnt au<h Freiherr von Thielmann die große Neugierde des Tieres mit dem Hinweiſe, daß er ſelbſt ein auffallendes Beiſpiel erlebt habe. Übrigens findet man auch da, wo Gabelböcke häufig ſind, nicht viele, welche ſi mit dex ſehr ſ<hwierigen Jagd derſelben abgeben. Die gewöhnliche Fagdweiſe iſt der Birſchgang, derſelbe fordert mindeſtens ebenſoviel Geduld und Anſtrengung wie unſere Gemsjagd. Während aber dem Jäger bei dieſer der Wechſel des Wildes zu gute kommt, iſt er bei der Jagd auf Gabelböcke einzig und allein auf ſeine Geſchitlicheit im Anſchleichen angewieſen, und nur wer die baum- und ſtrauchloſen Steppen des Weſtens aus eigener Anſchauung kennt, weiß, was dies beſagen will.

Der Nußzen der Jagd iſt niht unbedeutend. Manchen Leuten widerſteht zwar das Wildbret dieſes Tieres wegen des ihm anhaftenden ſtarken und abſtoßenden Geruches; die meiſten Europäer aber finden, daß es einen von dem unſeres Hirſches oder Rehes ganz verſchiedenen, äußerſt feinen Wildgeſhma> hat und deshalb mit Recht unter die vorzügliſten Gerichte des Weſtens gezählt werden darf. Das Feiſt zeichnet ſi dur ſeine Härte aus und dient deshalb zur Bereitung vortrefflicher Kerzen; das leihte und weiche, aber wenig: haltbare Fell wird von den Fndianern zur Anfertigung ihrer Hemden, von den Europäern zur Herſtellung von Handſchuhen benust.

Keine einzige Gruppe der ganzen Ordnung läßt ſih leichter kennzeihnen als die Familie der Hirſche (Cervidae). Sie ſind geweihtragende Wiederkäuer. Mit dieſen Worten hat man ſie hinlänglich beſchrieben; denn alles übrige erſcheint dieſer Eigentümlihkeit gegenüber als nebenſählih. Von den tiefer ſtehenden Moſchustieren unterſcheiden ſich die Hirſche durh bedeutendere Größe, durch den Beſig faſt immer gut ausgebildeter Thränengruben, dur die meiſtens nur ſehr kurzen oder fehlenden E>zähne und durch eine bei den meiſten Arten vorhandene Haarbürſte an den Hinterfüßen. Fhr Bau iſt ſ{lank und zierlich, der Leib wohlgeformt und geſtre>t, der Hals ſtark und kräftig, der Kopf nach der Schnauzenſpiße zu ſtark verſhmälert; die Beine ſind hoh und fein gebaut; die Füße haben ſehr entwidelte Afterklauen und ſhmale, ſpißige Hufe. Große, lebhafte Augen, aufret ſtehende, ſchmale, mittellange und bewegliche Ohren, die ungefurhte Oberlippe und ſehs Backenzähne in jedem Kiefer ſind anderweitige Merkmale der Familie.

Die Geweihe kommen meiſtens nur den Männchen zu. Sie ſind, wie oben angegeben, paarige, knöcherne, veräſtelte Hornbildungen und werden alljährlih abgeworfen und aufs neue erzeugt. Jhre Bildung und ihr Abſterben ſteht im innigen Zuſammenhange mit der Geſchlechtsthätigkeit. Verſchnittene Hirſche bleiben ih hinſichtlih des Geweihes immer gleich, d. h. ſie behalten es, wenn die Verſchneidung erfolgte, während ſie das Geweih trugen, oder ſie bekommen es niemals wieder, wenn ſie verſchnitten wurden, als ſie das Geweih eben abgeworfen hatten; ja einſeitig Verſchnittene ſeen bloß an der unverſehrten Seite no< auf. Schon vor der Geburt des Hirſches iſt die Stelle, welche das Geweih tragen