Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
432 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.
hat das Bedürfnis, die Haut oder den Baſt abzuſchlagen, welcher nun au<h anfängt, ſih von ſelbſt abzulöſen.“
Die Veränderung des Geweihes, gewiſſermaßen ſeine Weiterausbildung, geht nun in folgender Weiſe vor ſih: Schon ehe der Hirſh das erſte Lebensjahr erreicht, bilden ſi< als unmittelbare Fortſezungen der Roſenſtö>te Stangen, welche bei manchen Arten der Familie wohl abgeworfen, aber immer in gleicher Weiſe wieder erſeßt werden, wogegen bei den meiſten Hirſchen die auf die erſten Stangen, die ſogenannten Spieße, folgenden Geweihe, alſo der Kopfſchmu> des zweiten Jahres, einen, bisweilen au< zwei Za>ken, Sproſſen oder Zinken erhalten. Fm Frühjahre des dritten Fahres wiederholt ſi< derſelbe Vorgang; aber die neu aufgeſeßte Stange enthält eine Sproſſe mehr als im vorigen Jahre, und ſo geht es, bis die größtmöglihe Ausbildung des Tieres erreiht worden iſt. Krankheiten oder ſ{<le<te Nahrung bringen bisweilen einen Rükgang hervor, indem dann die neu aufgeſeßten Stangen je 1 oder 2 Sproſſen weniger zählen als vorher, und ebenſo kann die Geweihbildung durch reihlihe Nahrung und ruhige, ſorgenloſe Lebensweiſe beſchleunigt werden.
Max S<hmidt hat über die Bildung und Entwickelung der Geweihe ſo überſichtlich und wahrheitsgetreu berihtet, daß ih nihts Beſſeres zu thun weiß, als mi<h im Nachfolgenden auf ſeine Ausführungen zu ſtützen. Bei dem neugeborenen Hirſche ſind die Stellen, an denen ſpäter die Geweihe ſi<h entwi>eln, in der Regel dur<h Haarwirbel angedeutet und erſcheinen häufig eher etwas vertieft als erhöht. Gegen Ende des erſten oder zu Anfang des zweiten Jahres treten die Roſenſtöte allmählich hervor, und ſobald ſie ihre völlige Länge erreicht haben, werden die erſten Spuren eigentlicher Geweihbildung bemertlih. Der ſtets mit Haut bekleidete Noſenſto> hat je nah der Art eine ſehr verſchiedene Höhe, indem er bald kaum über die Fläche der Stirnbeine ſi<h erhebt, bald eine Länge von 2—s, in einzelnen Fällen ſogar bis 15 em erreicht. Die im zweiten Lebensjahre zum Vorſchein kommenden Geweihanfänge ſind entweder niedere, hö>kerige Gebilde oder aber mehr geſtre>te, kegelförmige Hervorragungen von ebenfalls ſehr verſchiedener Länge, je nah Art des Tieres; bei der erſten Form tritt immer, bei der zweiten zuweilen eine Teilung ein. Hierauf folgt in ſpäteren Jahren die weitere Ausbildung der Geweihe in der angegebenen Weiſe.
Die Befeſtigung des Geweihes auf dem Roſenſto>e findet derartig ſtatt, daß kleinere oder größere Hervorragungen der Geweihwurzel in entſprechende Vertiefungen der oberen Fläche des Roſenſto>es eingreifen und umgekehrt. Dieſe Verbindung iſt eine ſo innige, daß ſie auf einem ſenkrehten Durhſchnitte eines friſchen ausgebildeten Geweihes und des Roſenſto>es nicht ſihtbar wird, ſondern erſt nah dem Austro>nen als eine fein geza>te Linie auf der Schnittfläche ſi darſtellt. Daher kommt es auch, daß bei Anwendung von Gewalt ein Geweih, welches niht dem Abwerfen nahe iſ, niht leiht an dieſer Stelle bricht, ſondern weit eher der Roſenſto> von der Stirnbeinfläche abgeiprengt wird.
Bei den meiſten Hirſchen bemerkt man einige Tage vor dem Abwerfen eine Auſftreibung des Hautrandes, welcher Roſenſto> und Geweihwurzel umgibt; der Hirſh ſchont das Geweih, vermeidet damit anzuſtoßen und beweiſt dadurch, daß er ein ungewohntes Gefühl an dieſex Stelle verſpürt.
Das Abwerfen ſelbſt geſchieht infolge des eigenen Gewichtes der Stangen oder eines geringen äußeren Anſtoßes. Höchſt ſelten werden beide Stangen zugleich abgeworfen; es bleibt vielmehr ein Zwiſchenraum von verſchiedener Dauer, welche bald wenige Minuten, bald mehrere Tage umfaßt, zwiſchen dem Abwerfen der erſten und der zweiten Stange. Durch ſein ganzes Benehmen, beſonders aber dur die Haltung des Kopfes und Hängenlaſſen der Ohren, bekundet der Hirſch, daß das Abwerfen, wenn niht ſhmerzhaft, ſo Do jedenfalls mit einem unbehaglichen Gefühle verbunden iſt. Son mehrere Tage vorher ſtößt ex niht mehr, ſondern wehrt ſi, wie das Tier, dur Shlagen mit den Vorderläufen.