Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Allgemeines. Geweihbildung. 433

Nach dem Abwerfen einer Stange veranlaßt ihn das ungleihe Gewicht, den Kopf ſchief nah einer Seite geneigt zu tragen, und er ſchüttelt oft, als wolle er dadurch die andere Stange ebenfalls entfernen. Anwendung von Gewalt findet zwar auh, jedoch ſeltener ſtatt, insbeſondere dann, wenn der Hirſh verſtümmelte Geweihe trug.

Unmittelbar nah dem Abwerfen beginnt die Neubildung des Kopfſhmuckes. Sömmering hat ſi< der Mühe unterzogen, den Aufbau des Geweihes eines gefangen gehaltenen Edelhirſches genau zu beobahten und zu beſchreiben, und ſeine Schilderung gibt ein ſehr getreues Bild dieſes Vorganges. „Gleich na< dem Abfallen der einen Stange“, ſagt ex, „war die untere Fläche derſelben tro>en, wenigſtens nicht blutig; die Blutgefäße in ihr waren alſo völlig abgeſtorben und leer. Man bemerkte namentlich nach hinten und außen, aber nur dicht am Rande der Roſe, zwiſchen den Perlen, Öffnungen zahlreicher Kanäle, dur< welche die ernährenden Gefäße zum Baſte verliefen. Die kleineren enthielten die Stlagadern, welche faſt alle aus der äußeren Halsſ{hlagader entſpringen. Zur Zeit der Geweihbildung erweitern und verlängern ſi<h deren Zweige außerordentli<h und ſind von noch ſtärkeren Hohladern umgeben, deren Knochenkanäle man neben denen der Schlagadern ſieht, und deren Wege man noch deutlicher als jene in den breiteren Furchen des Geweihes angedeutet findet. Durch das Fegen ſind ſie an den Spitzen der plattgeſchliffenen Enden verwiſcht worden und völlig verſhwunden. Die Mitte der unteren Fläche des Geweihes iſt weniger hart und feſt als der Rand, mehr porös und rauh, mit dem Stirnbeinfortſaße daher loſer verbunden, nicht durch wirkliche Naht daran befeſtigt. Nach dem Abwerfen beider Stangen ſucht der Hirſh im Freien die Ruhe, thut ſi< an einſamen Pläßen nieder und ſcheint ermattet, wenigſtens mutlos zu ſein, im Gefühle des Verluſtes ſeiner Waffen. Er trägt den Kopf gern geſenkt und meidet jeden Anſtoß, jede Berührung desſelben.

„Die runde Fläche, auf welcher die Stange ſaß, hat 50 mm Dur<hmeſſer, iſt mit einem Gerinnſel von Blut und Lymphe bede>t, aber ſchon jezt mit einem 8 mm breiten, wulſtigen, \<hwärzlih violetten Ringe umgeben: eine offenbar bereits vor dem Abwerfen beſtehende Neubildung von Gefäßen, welche, aus dem Hautrande des Roſenſto>es ſich: hervordrängend, die Auflo>erung und Loslöſung bewirkt haben. Der Andrang des Blutes nach den NRoſenſtöken wird von dem alten, abgeſtorbenen Geweihe aufgehalten; die Gefäße häufen ſih vor demſelben an, krümmen und verſchlingen ſi< und bilden einen wulſtigen Gefäßring, wel<her das Geweih gleihſam von der Stirnhaut abſchnürt und untergräbt und ſo die leihte Abſtoßung desſelben bewirkt. Aus dieſem Gefäßwulſte entſteht ſpäter dur< Ausſcheidung von falfiger Knochenmaſſe die Noſe mit ihrem Perlenkranze. Sie fehlt noch bei dem Erſtlingsgeweihe des Spießers, deſſen dünne Stange auf einem hohen Fortſaße des Stirnbeines aufſißt. Mit jedem Fahre nimmt dieſer an Breite zu, aber an Höhe ab, denn mit dem Abwerfen des Geweihes geht immer eine obere Schicht desſelben verloren.

„Schon am 2. Tage nah dem Abwerfen iſt die Mitte der Wundfläche mit \<wärzli rotbraunem Schorfe bede>t, welcher ſi< immer mehr nah der Mitte zuſammenzieht, während der Ningwulſt breiter und höher wird. Am 4. Tage iſt die eigentliche Wundfläche ſchon ſehr verkleinert, im Durhmeſſer 28 mm, der Ringwulſt dagegen 12 mm breit, lebterer erhabener gewölbt und gefurcht, ſeine dünne Oberhaut ſo empfindlich, daß ſie [eicht blutet. Dasſelbe beobachtet man auh noh am 8. Tage; nur iſt inzwiſchen der Ningwulſt wieder merklich breiter und höher geworden, jedo< noch völlig rund geblieben, ohne den behaarten Hautrand ſeitlih zu überragen. Am 14. Tage hat die mittlere Wundſtelle ſich wiederum bedeutend verkleinert. Der Wulſt iſ im Umfange allenthalben, am meiſten aber nah vorn, über den Rand des behaarten Roſenſtoces ausgedehnt, ſo daß man ſehr deutli<h den Anfang zu dem zuerſt ſi< bildenden unterſten Ende des Geweihes, der Augen-

ſproſſe, wahrnimmt. Von deſſen Spitze aus gemeſſen hat der Wulſt oder Kolben nur Brehm, Tierleben. 3. Auflage. II 28