Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

454 __ Elfte Drdnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.

einen Durchmeſſer von 72 mm, während jener der mittlern Vertiefung nur no< 16 mm beträgt. Am 20. Tage beginnt der nun nach allen Seiten ſtark hervortretende grauſ<hwarze Kolben ſi< mit weißlichen Haaren zu bede>en; ſeine Oberhaut iſt feſter geworden und nicht allein der Anſatz zu den Augenſproſſen ſtärker hervorgetreten, ſondern namentlich der hintere Teil des Kolbens, aus welchem die Stange ſih erheben ſoll, breiter, höher, maſſenhafter ausgebildet. Von nun an verſ<hwindet die kleine vertiefte Mittelfläche bald gänzlich, und der Kolben wächſt raſcher in die Breite und Höhe. Außer der am 23. Tage bereits 60 mw langen Augenſproſſe teilt er ſi in eine kleinere vordere und eine ſtärkere hintere Halbkugel, aus welcher das zweite Ende, die Eisſproſſe, und die Stange ſelbſt ſi< bilden. Er iſt nur diht mit weißlichen Haaren bede>t und hat daher eine graue Färbung bekommen. Jm Verlaufe der nähſten 10 Tage hat ſih das Anſehen der Kolben bedeutend verändert. Das ganze Geweih iſt gleihſam in der Anlage ſhon vorhanden; alle Enden ſind dur< mehr oder minder hervorragende Abteilungen und Einſchnitte des Kolben2 angedeutet. Lebterer gleicht einer Pflanze, welche im Frühlinge nah der Winterrühe ſhon ihren Stengel gebildet hat, aus dem Blätter und Blüten hervortreiben, nahdem das Wachstum der Wurzel vollendet iſt. Nun erſt ſieht man deutli einen über den Rand des behaarten Roſenſto>es hervorragenden bläulichen, gefäßreihen Ring, den Anfang der ſih bildenden Roſe und ihrer Perlen, am Grunde des Geweihes. Darüber ragt die Augenſproſſe hervor. Die Spite iſt ſehr breit geworden und beginnt dur< Furhung ſih zu gabeln. Zwölf Tage ſpäter, am 45. des Wachstumes, iſt die lezte Gabelung oder Teilung der Kolben no< niht vollſtändig; am 59. Tage ſind alle vorhandenen Enden bereits ziemlih lang geworden, und die Augenſproſſe hat ſich bereits zugeſpitzt. Der obere Teil des Geweihes teilt ſich jedoch erſt am 62. Tage und iſ am 79. Tage fertig, aber no< mit ſtark behaartem und gefäßreihem Baſte überzogen, welcher ſehr empfindlih ſein muß, weil der Hirſh noh immer das Geweih ſchont. Noh am 120. Tage, um welche Zeit das Geweih vollſtändig ausgewacſen iſt und ſeine Enden bis zu den Spitzen knochenhart ſind, blutet die Augenſproſſe bei der geringſten Verlegung. Erſt 20 Tage ſpäter fegte der in Rede ſtehende Hirſch.“

Der hier beſchriebene Hergang der Neubildung des Geweihes gilt für alle Hirſche, nur mit der Maßgabe, daß das Wachstum bei dem einen längere, bei dem anderen kürzere Zeit beanſprucht. Nachdem der Baſt oder häutige Überzug des Geweihes ſeine Dienſte gethan hat, tro>net er ein, und der Hirſch reibt nunmehr die ſih loslöſenden Feben desſelben an Bäumen und Geſträuchen ab, wodurch gleichzeitig die Geweihe, hauptſählih wohl von dem Safte der dabei beſchädigten Pflanzen, dunkler gefärbt werden. Fm allgemeinen iſt die Geſtalt des Geweihes eine ſehr regelmäßige, obgleih Örtlichkeit und Nahrung Veränderungen zur Folge haben können. Für die Artbeſtimmung bleibt das Geweih immer noh eines der Hauptmerkmale, mögen auh einzelne Naturforſcher ſolcher Beſtimmung nur einen ſehr zweifelhaften Wert zuſprehen wollen.

Die inneren Leibesteile der Hirſche ſtimmen im weſentlichen mit denen anderer Wiederfäuer überein und bedürfen hier keiner beſonderen Beſchreibung. Daß allen Hirſchen die Gallenblaſe fehlt, wurde bereits erwähnt.

Schon in der Vorzeit waren die Hirſche über einen großen Teil der Erdoberfläche verbreitet. Gegenwärlig bewohnen ſie mit Ausnahme des äthiopiſchen Reiches und Auſtraliens alle Erdteile und ſo ziemlih alle Klimate, die Ebenen wie die Gebirge, die Blößen wie die Wälder. Manthe leben gemſenartig, andere ſo verſte>t wie möglich in dihten Waldungen; dieſe in tro>enen Steppen, jene in Sümpfen und Moräſten. Nach der Jahreszeit wechſeln viele ihren Aufenthalt, indem ſie, der Nahrung nachgehend, von der Höhe zur Tiefe herabund wieder zurücziehen; einige wandern auh und legen dabei unter Uniſtänden ſehr bedeutende Stre>en zurück. Alle ſind geſellige Tiere; manche rudeln ſich oft in bedeutende