Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
Allgemeines. 435
Herden zuſammen. Die alten Männchen trennen ſih gewöhnlih während des Sommers von den Rudeln und leben einſam für ſih oder vereinigen ſih mit ihren Geſchle<htsgenoſſen; zur Brunſtzeit aber geſellen ſie ſih zu den Rudeln der Weibchen, rufen andere Geſinnungstüchtige zum Zweikampfe heraus, ſtreiten wa>er miteinander und zeigen ſich überhaupt dann außerordentlich erregt und in ihrem ganzen Weſen wie umgeſtaltet. Die meiſten ſind Nachttiere, obwohl viele, namentlih die, welche die hohen Gebirge und die unbewohnten Orte bevölkern, au< während des Tages auf Äſung ausziehen. Alle Hirſche ſind lebhafte, furchtſame und flüchtige Geſchöpfe, raſh und behende in ihren Bewegungen, feinſinnig, geiſtig jedoh ziemli< gering begabt. Die Stimme beſteht in kurz ausgeſtoßenen, dumpfen Lauten bei den Männchen und in blökenden bei den Weibchen.
Nur Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Hirſche; wenigſtens iſ es noh keine8wegs erwieſen, ob die Renntiere, wie man behauptet hat, Lemminge freſſen oder niht. Gräſer, Kräuter, Blüten, Blätter und Nadeln, Knoſpen, junge Triebe und Zweige, Getreide, Obſt, Beeren, Ninde, Moſe, Flehten und Pilze bilden die hauptſählihſten Beſtandteile ihrer Äſung. Salz erſcheint ihnen als Leckerei, und Waſſer iſt ihnen Bedürfnis.
Die Hirſhkuh wirſt 1 oder 2, in ſeltenen Fällen 3 Junge, welche vollſtändig ausgebildet zur Welt kommen und ſhon nah wenigen Tagen der Mutter folgen. Bei einigen Arten nimmt ſih auch der Vater ſeiner Nahkommenſchaft freundlih an. Die Kälber laſſen ſich Liebkoſungen ſeitens ihrer Mutter mit vielem Vergnügen gefallen, und dieſe pflegt jene aufs ſorgfältigſte, ſhügt ſie au< bei Gefahr.
Zn Gegenden, wo Akerbau und Forſtwirtſchaft den Anforderungen der Neuzeit gemäß betrieben werden, ſind die Hirſche niht mehr zu dulden. Der Schade, welchen die ſchönen Tiere anrichten, übertrifft den geringen Nugen, den ſie bringen. Sie vertragen ſich leider uit mit der Land- und Forſtwirtſchaft. Wäre die Jagd nicht, welche mit Recht als eine der edelſten und männlihſten Vergnügungen gilt: man würde ſämtliche Hirſche bei uns längſt vollſtändig ausgerotlet haben. Noh iſt es nicht bis dahin gekommen; aber alle Mitglieder dieſer ſo vielfach ausgezeihneten Familie, welche bei uns wohnen, gehen ihrem ſicheren Untergange entgegen und werden wahrſcheinlih ſchon in kurzer Zeit bloß noh in Wildparks und Tiergärten zu fehen ſein.
Die Zähmung der Hirſche iſt niht ſo leicht, wie man gewöhnlih annimmt. n der Jugend betragen ſich freilich alle, welche frühzeitig in die Gewalt des Menſchen kamen und au dieſen gewöhnt wurden, ſehr lieben8würdig, zutraulih und anhänglih; mit dem Alter aber ſhwinden dieſe Eigenſchaften mehr und mehr, und faſt alle alten Hirſche werden zornige, boshafte und raufluſtige Geſhöpfe. Hiervon macht auch die eine, ſhon ſeit längerer Zeit in Gefangenſchaft lebende Art, das Renn, keine Ausnahme. Seine Zähmung iſt keineswegs eine vollſtändige, wie wir ſie bei anderen Wiederkäuern bemerken, ſondern nur eine halbgelungene.
Wir ſtellen die Rieſen der Familie oben an. Die Elentiere (Alces), welche gegenwärtig no< einen einzigen oder, wenn man das amerifaniſhe Mustier als beſondere Art ertlärt, zwei Vertreter haben, ſind gewaltige, plump gebaute, kurz- und dichalſige hohund tfurzleibige, hohbeinige Geſchöpfe, mit ſchaufelartig ausgebreiteten, fingerförmig eingeſchnittenen, vielfah geza>ten Geweihen; ſie beſißen kleine Thränengruben, Haarbüſchel an der Jnnenſeite der Fußwurzel und Klauendrüſen, aber keine E>zähne. Der Kopf iſt häßlich, die behaarte Oberlippe hängt über; die Augen ſind klein, die Ohren lang und breit; der Schwanz iſt ſehr kurz.
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