Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

440 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.

Satzeit hin ſondern ſi<h von dieſen Rudeln die alten Hirſche ab, gewöhnlich eigene Geſellſchaften für ſi bildend. Fn Gegenden, wo er zwar allgemein verbreitet iſt, aber doh niht häufig auſtritt, wie beiſpielsweiſe in Oſtſibirien, rudelt ex ſi< im Winter zu kleinen Trupps, geht dagegen im Sommer ſtets einzeln oder höhſtens das Tier mit ſeinem Kalbe; in den Jbenhorſter Forſten vereinigt er ſich im Spätherbſte, wenn die Überſhwemmung der Bruhwaldungen ihn zwingt, auf den Mooren und im Hochwalde Stand zu nehmen, zu Rudeln von 25—40 Stü>. Dieſe Geſellſchaften beſtehen regelmäßig aus Hirſchen und no<h nicht fertigen Tieren, weil das Mutterwild, aus übergroßer Sorge um ſeine Kälber, nicht allein die Hirſche höchſt unfreundlih behandelt, ſondern ebenſo andere Tiere und deren Kälber meiſt abſ<lägt. Von einem friedfertigen Zuſammenleben der Elche bemerkt man überhaupt wenig. Jedes einzelne Stü hat oft mit dem anderen etwas auszumachen, eines vertreibt das andere von der warmgelegenen Stelle, und dem Mutterwilde muß alles übrige weichen: dieſes bekundet nicht einmal gegen verwaiſte Kälber freundlihe Geſinnung, ſondern vertreibt ſie ebenſo rü>ſi<tslos wie jedes ſonſtige Stü des Rudels aus ſeiner Nähe. Solange die Brunſt ſie niht beeinflußt, zeigen ſih die Hirſche weit geſelliger als die Tiere, nehmen beiſpiel3weiſe mutterloſe Kälber ohne weiteres in ihre Rudel auf; während der Brunft dagegen bethätigen auch ſie die Unfriedſamkeit ihres Geſchlechtes, ſuchen, jeder für ſich, ſo viele Tiere wie möglih zuſammen zu treiben und zuſammen zu halten und ſ{<lagen alle anderen Hirſche ab. Jm Frühjahre zerſtreuen ſich die Nudel vollſtändig und leben, abgeſehen von den Tieren mit ihren Kälbern, einzeln oder zu zweien und dreien vereinigt.

Mehr noh als den übrigen Hirſchen ſind dem Elche Störungen aller Art aufs tiefſte verhaßt. Er verlangt unbedingte Ruhe und verläßt eine Gegend, in welcher er wiederholt behelligt wurde. Jn den Fbenhorſter Forſten, wo er ſi<h an den Menſchen und ſein Treiben na<h und nah gewöhnt hat, gibt ſih dieſes Bedürfnis als überraſchende oder ergößgende Trägheit kund. Hier iſt unſer Wild ſo ſorglos und faul geworden, daß es ſi kaum rührt, wenn es etwas dur<h das Gehör vernimmt, und nur dann von ſeiner Lagerſtätte ſich erhebt, wenn man ihm bis auf 40 und ſelbſt 30 Schritt nahe gekommen iſt. Aber auh dann noh trollt es niht immer weg, bethätigt vielmehr oft eigenwillige Widerſpenſtigkeit oder Störrigkeit, gepaart mit plumper Neugierde, welche auf ſeine geiſtigen Befähigungen ein niht eben günſtiges Licht wirſt. Wo es ſih ungeſtört weiß, bettet es, abgeſehen vielleiht von kurzer Ruhe, nur in den Vor- und Nachmittagsſtunden und ſtreiſt {hon von 4 Uhr des Nahmittags an in den Abend-, den erſten Nacht-, den Früh- und Morgenſtunden umher; im entgegengeſeßten Falle wählt es die Nachtzeit, um nah Äſung auszuziehen. Nah Wangenheim beſteht dieſe in Blättern und Schößlingen der Moorweide, Birke, Eſche, Eſpe, Ebereſche, des Spißahorns, der Linde, Eiche, Kiefer, Fichte, in Heide, jungem Röhricht und Shchilfe, in ſchoſſendem Getreide und Lein. Fn den Fbenhorſter Forſten geht der Elch alle Baum- und Straucharten an, welche daſelbſt wachſen, außer den genannten beiſpielsweiſe noh Faulbaum, Haſel und Erle. Von leßterer nimmt ex, namentlich ſeitdem die Weidenarten ſeltener geworden ſind, beſonders gern die jährigen Ausſchläge, zweijährige Shößlinge ab und zu, jedo< {hon ſeltener, ältere Zweige und Schoſſe dagegen niemals. Fm Moore ſt er vorzugs3weiſe Heidekraut, Wollgras und Schachtelhalme, mit denen er zuweilen ſeinen Wanſt vollſtändig anfüllt. Fn den Monaten Mai und Funi bilden leßtere und Kuhblumen ſeine hauptſählichſte Äſung.

Neuere Beobachter geben übereinſtimmend an, daß der El kein Getreide äſt. „So oft ih mich danach exkundigt habe“, {reibt mir O. von Loewis, „hörte ih in Livland niemals davon, daß Elentiere ins Getreide oder in ein Flachsfeld gehen und hier dur Äſung Schaden verurſachen ſollten. Jm Gegenteile bemerkte ih oft, daß ſie unmittelbar neben Getreide wachſendes Röhricht und Gezweige angenommen, alſo jenem vorgezogen