Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Edelhir\<: Verbreitung. Leben8weiſe. 465

Ländern hat es ſehr abgenommen oder iſt gänzlih ausgerottet worden, ſo in der Schweiz und in vielen Teilen Deutſchlands. Am häufigſten iſt es noh in Polen, Galizien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Siebenbürgen, Kärnten, Steiermark und Tirol; viel häufiger aber als in allen dieſen Ländern findet es ſi< in Aſien, namentlih im Kaukaſus und in dem bewaldeten ſüdlichen Sibirien. Die ſtärkſten Hirſche finden ſi< von Ungarn bis zur Bukowina, in Pommern und Oſtpreußen, die ſhwächſten in den Reichslanden. Das Rotwild liebt mehr gebirgige als ebene Gegenden und vor allem große, zuſammenhängende Waldſtre>en, namentlih Laubhölzer. Hier ſchlägt es ſih zu größeren oder kleineren Rudeln zuſammen, welche nach dem Alter und Geſchlehte geſondert ſind: alte Tiere, Kälber, Spießer, Gabler und Schmaltiere bleiben gewöhnlich vereinigt; die ſtärkeren Hirſche bilden kleine Trupps für ſic, und die Kapitalhirſche leben bis zur Brunft meiſtens einzeln. Die ſtärkſten Rudel werden demgemäß von den Tieren und den jungen Hirſchen, die ſhwachen von Hirſchen mittleren Alters gebildet. An der Spize des Rudels ſteht ſtets ein weibliches Tier, das Kopftier, nach welchem alle übrigen ih ri<ten. Dies geſchieht ſelbſt während der Brunſtzeit, ſolange der Hirſh die Tiere niht treibt. Jm Winter zieht ſi< das Rotwild von den Bergen zur Tiefe zurü>, im Sommer ſteigt es bis zu den höchſten Spigen der Mittelgebirge empor; im allgemeinen aber hält es, ſolange es ungeſtört leben kann, an ſeinem Stande treulich feſt, und nur in der Brunſtzeit oder beim Aufſeßen der neuen Geweihe und endlich bei Mangel an Äſung verändert es freiwillig ſeinen alten Wohnort. Das weiche Geweih nötigt den ſtarken Hirſch, in ſehr niederem Gebüſche oder im lichten Holze, wo er an den Zweigen niht anſtreiht, ſih aufzuhalten; wird der Wald ſehr unruhig, ſo thut er ſi zuweilen in Getreidefeldern oder im Geſtrüppe auf Feldrainen nieder. Den Tag über liegt das Rotwild in ſeinem Bette verborgen, gegen Abend zieht es auf Äſung aus, im Sommer früher als im Winter. Nur in Gegenden, wo es ſi völlig ſicher weiß, äſt es zuweilen auch bei Tage. Beim Ausgehen na< Äſung pflegt es ſi< in raſchem Trabe zu bewegen oder zu trollen; der Rückzug am Morgen dagegen erfolgt langſam, weshalb ihn die Jäger den Kirchgang nennen. Auch wenn die Sonne bereits aufgegangen iſt, verweilt es no< in den Vorhölzern; denn der Morgentau, welcher auf den Blättern liegt, iſt ihm unangenehm.

Alle Bewegungen des Edelwildes ſind leicht, zierlich, aber zugleich ſtolz und anſtandsvoll; namentlich der Hirſh zeichnet ſih durch ſeine edle Haltung aus. Der gewöhnliche Gang fördert hinlänglih; im Trollen bewegt ſi< das Wild ſehr {nell und im Laufe mit faſt unglaublicher Geſchwindigkeit. Beim Trollen ſtre>t es den Hals weit nah vorn, im Galopp legt es ihn mehr nah rü>wärts. Ungeheuere Säße werden mit ſpielender Leichtigkeit ausgeſührt, Hinderniſſe aller Art ohne Aufenthalt überwunden, im Notfalle breite Ströme, ja ſelbſt (in Norwegen oft genug) Meeresarme ohne Beſinnen überſ<hwommen. Den Jäger feſſelt jede Bewegung des Tieres, jedes Zeichen welches es bei der Spur zurü>läßt, oder welches überhaupt von ſeinem Vorhandenſein Kunde gibt. Schon ſeit alten Zeiten ſind alle Merkmale, welche den Hirſh bekunden, genau beóbahhtet worden. Der weidgerechte Jäger lernt nah kurzer Prüfung mit unfehlbarer Sicherheit aus der Fährte, ob ſie von einem Hirſche oder von einem Tiere herrührt, \{häßt nach ihr ſogar ziemlich richtig das Alter des Hirſches. Die Anzeichen werden gerechte genannt, wenn ſie untrüglich ſind, und der Jäger ſpricht nach ihnen den Hirſh an. Unſere Vorfahren kannten 72 ſolcher Zeichen; Dietrich aus dem Wind>ell aber glaubt, daß man dieſe auf 27 herabſeßen könne. Fh will nur einige von ihnen anführen. Der Schrank oder das Schränken beſteht darin, daß, wenn der Hirſch feiſt iſt, die Tritte des re<ten und linken Laufes nicht gerade hinter- ſondern nebeneinander kommen; an der Weite des Schrittes erkennt man die Schwere des Hirſches. Der Schritt kennzeichnet den Hirſh, weil die Eindriicke der Füße weiter voneinander ſtehen

als bei dem Tiere; ſchreitet er weiter als 75 cm aus, ſo kann er {hon ein Geweih von Brehm, Tierleben. 3. Auflage. IL 30