Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

466 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünſte Familie: Hirſche.

10 Enden tragen. Der Burgſtall oder Grimmen, au< Bürgel, iſt eine kleine, gewölbte Erhebung in der Mitte des Trittes; das Ballenzeichen bildet ſi<, wenn die Ballen an allen vier Tritten ausgedrüd>t ſind; die Stümpfe deuten auf die ſumpfere Form der Schale des Hirſches, während die eines alten Tieres ſpißiger ſind. Das Fädlein iſt ein kleiner, ſ{<hmaler, erhabener Längsſtrich zwiſchen den beiden Schalen, das Fnſigel, ein von der Schale abgeworfener Ballen Erde, welchen der Hirſh bei feuhtem Wetter aufgenommen hat, der Abtritt ein Eindru> auf Naſen, welcher die Halme abgeſchnitten hat (das Tier zerquetſcht ſie bloß), der Einſchlag wird bezeihnet dur<h Pflanzenblätter und Halme, welche der Hirſh zwiſchen den Schalen aufnahm und auf harten Boden fallen ließ, der S<hloßtritt durch den erſten Eindru>, welchen der Hirſh ma<ht, wenn ex ſi<h aus dem Bette erhebt 2c. Zu dieſen gerehten Zeichen kommen nun noh die Himmelsſ\pur, d. h. die Merkmale, welche der Hirſh beim Fegen an Bäumen zurü>gelaſſen hat, und andere mehr. Für den Ungeübten dürfte es {wer ſein, die Fährten des Hirſches und des alten Tieres, ſelbſt wenn er ſie ſoeben nebeneinander geſehen hat, ein paar Schritte davon wieder zu unterſcheiden.

Unter den Sinnen des Edelwildes ſind Gehör, Geru< und Geſicht vorzüglich ausgebildet. Es wittert einen Menſchen bis auf 600 Schritt. Auch das Gehör iſt außerordentlih ſcharf; ihm entgeht niht das geringſte Geräuſch, wel<hes im Walde laut wird. Über Weſen und geiſtige Eigenſchaften des Edelhirſhes gehen die Anſichten ziemlih weit auseinander. Der Jäger iſt geneigt, in ſeinem Lieblings3wilde den Fnbegriff aller Vollkommenheit zu erbli>en, der minder eingenommene Beobachter, welcher den Hirſh mit anderen Tieren vergleicht, urteilt minder günſtig. Nach neuerem Dafürhalten iſt dieſer weder geſcheiter noh lieben8würdiger als andere wild lebende Wiederkäuer. Er iſt ſehr ängſtlih und ſcheu, niht aber klug und verſtändig. Sein Gedächtnis ſcheint ſchwach, ſeine Faſſungsgabe gering zu ſein. Nah und nah ſammelt auch er ſi< Erfahrungen und verwertet ſie niht ungeſhi>t; wenn ſeine Leidenſchaften erregt ſind, vergißt er häufig ſeine Sicherheit, auf welche er ſonſt ſtets zuerſt Bedacht zu nehmen pflegt. Lieben3würdig iſt er in keiner Weiſe. Selbſtſüchtig denkt der männliche Hirſh aus\{ließlih an ſeinen eigenen Vorteil und ordnet dieſem alles übrige unter. Das Tier behandelt er ſtets grob und roh, während der Brunſtzeit am ſchlechteſten. Anhänglichkeit bekundet nur das Tier ſeinem Kälbchen gegenüber, der Hirſh kennt dieſes Gefühl niht. Solange er anderer Hilfe bedarf, iſt er ſhmiegſam und für Freundlithkeit empfänglich, ſobald er ſeiner Kraft ſich bewußt geworden, erinnert er ſich früher empfangener Wohlthaten niht mehr. Andere Tiere fürchtet er, oder ſie ſind ihm gleichgültig, wenn niht geradezu unangenehm; ſ<hwähere mißhandelt er. Sobald er ſi beleidigt wähnt oder gereizt wird, verzerrt er rümpfend die Oberlippe, knirſht mit den Zähnen, ‘verdreht ingrimmig die Litter, beugt den Kopf nah unten und macht ſi zum Stoßen bereit: er begehrt. Während der Brunſtzeit iſt er förmlich von Sinnen, vergißt alles, vernachläſſigt ſelbſt eine regelmäßige Äſung und ſcheint einzig und allein an das von ihm ſonſt ſehr wenig beachtete Mutterwild und andere gleichſtrebende Hirſche zu denken. Ein Brunfthirſch im freien Walde iſt eine herrliche, ein Brunfthirſh im engen Gitter eine abſcheulihe Erſcheinung. Das Tier erſcheint ſanfter, hingebender, anhänglicher, kurz liebenswürdiger, iſt aber im weſentlihen ebenſo geartet wie der Hirſh. Jm Freien tritt es, weil ihm die Waffen fehlen, no< fur<tſamer auf als dieſer, übernimmt deshalb auh regel mäßig die Leitung eines Nudels; wirklich verſtändig aber zeigt es ſih ebenſowenig wie jener. Die außerordentli<h feinen Sinne, welche jede Gefahr gewöhnlich rechtzeitig zum Bewußtſein bringen, laſſen Hirſh und Tier klüger erſcheinen, als ſie wahrſcheinlih ſind.

Unzweifelhaft zeigt ſich das Edelwild deshalb ſo furhtſam, weil es erfahrungsmäßig den Menſchen als ſeinen ſ{<limmſten Feind kennt und deſſen Furchtbarkeit würdigen gelernt