Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

468 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.

in Knoſpen, Holzrinde, Heidekraut, Brombeerblättern, Miſteln und dergleichen, im Frühlinge in Knoſpen und friſchen Trieben mit oder ohne Laub, allerlei Grasarten und Kräutern, ſpäter aus Getreidekörnern, Rüben, Kraut, verſchiedenen Früchten, Kartoffeln, Bucheln und Eicheln. Nach Blaſius ſoll das Edelwild in Norddeutſchland erſt ſeit etwa 50 Jahren den Kartoffeln nachgehen, au< Fichtenrinde früher niht abgeſchält, überhaupt ſeine Neigungen im Verlaufe verſchiedener Geſchle<hter mehrfa<h geändert haben. Während der Brunſtzeit nehmen die alten Hirſche nur das Notdürftigſte zu ſi<h und freſſen dann vielfa<h Pilze, und zwar auch ſolche, welche für den Menſchen giftig ſind. Salz liebt das Rotwild ebenſo ſehr wie die meiſten übrigen Wiederkäuer.

Starke Hirſche werfen ihre Geweihe bereits im Februar, ſpäteſtens im März ab und erſeben ſie bis zu Ende Juli vollſtändig wieder; junge Hirſche, zumal Spießer, tragen die Stangen oft no< im Mai, haben jedoch ebenfalls im Auguſt bereits gefegt und vere>t. Mit dem Geweihwechſel ſteht die Härung in gewiſſer Beziehung, mit beiden die Geſ<hle<tsthätigkeit im Einklange. Nachdem das Geweih abgeworfen worden iſt, bildet ſih mit ihm das Sommerhaar aus, und ſobald leßteres vollendet iſt, ſet das Tier ſein Kalb. Der Hirſh brunftet im vollen Sommerhaare und verliert die Grannen bald nach der Brunſt, worauf die Entwickelung des Winterhaares vor ſich geht.

„Die Brunſtzeit des Edelwildes“, ſagt Dietrich aus dem Win>ell, „fängt mit Eintritt des Monats September an und dauert bis Mitte Oktober. Schon gegen Ende Auguſt, wenn die Hirſche am feiſteſten ſind, erwachen in den ſtärkſten die Triebe zur Brunſt. Sie äußern dies dur< ihr Schreien (einen Laut, welcher dem Jäger angenehm, dem muſifaliſhen Ohre aber nichts weniger als ſ<hmeichelnd iſt), infolgedeſſen ihnen gleih anfangs der Hals anſhwillt. Denſelben Ort, wo der Hirſh einmal gebrunftet hat, wählt er, ſolange das Holz niht abgetrieben wird, und falls er Ruhe hat, in den folgenden Fahren immer wieder. Solche Stellen nennt man Brunftpläße. Jn der Nachbarſchaft derſelben zieht ſi< dann auch das Wild in kleine Trupps zu 6, 8, 10—12 Stü zuſammen, verbirgt ſi aber, vielleiht aus Gefallſucht, vor dem Brunfthirſche. Dieſer trollt unaufhörlich mit zu Boden geſenkter Naſe umher, um zu wittern, wo es gezogen iſt und ſteht. Findet er no< ſchwache Hirſche oder Spießer dabei, ſo vertreibt er ſie und bringt ſih in den Beſib der Alleinherrſchaft, welhe er von nun an mit der größten Strenge ausübt. Keine der erwählten Geliebten darf ſih nur auf 30 Schritt weit entfernen; er treibt ſie ſämtlich auf den gewählten Brunftplaß. Hier, von ſoviel Reizen umgeben, vermehrt ſih der Begattungstrieb ſtündlich; aber no< immer weigern ſih wenigſtens die jüngeren Spröden, die Schmalz tiere, welche er unausgeſeßt umherjagt, ſo daß der Plaß ganz kahl getreten wird.

„Abends und morgens ertönt der Wald vom Geſchreie der Brunfthirſche, welche ſi jezt kaum den Genuß des nötigen Geäſes und nur zuweilen Abkühlung in einer benahbarten Suhle oder Quelle, wohin die Tiere ſie begleiten müſſen, geſtatten. Andere, weniger glüclihe Nebenbuhler beantworten neidiſch das Geſchrei. Mit dem Vorſaße, alles zu wagen, um dur< Tapferkeit oder Liſt ſih an die Stelle jener zu ſeßen, nahen ſie ſih. Kaum erbli>t der beim Wilde ſtehende Hirſch einen anderen, ſo ſtellt er ſich, glühend vor Eiferſucht, ihm entgegen. Jett beginnt ein Kampf, welcher oft einem der Streitenden, niht ſelten beiden, das Leben koſtet. Wütend gehen ſie mit geſenktem Gehörne aufeinander los und ſuchen ſi mit bewundernswürdiger Gewandtheit wechſelweiſe anzugreifen oder zu vevrteidigen. Weit erſchallt im Walde das Zuſammenſchlagen der Geweihe, und wehe dem Teile, welcher aus Alters\{<wäche oder ſonſt zufällig eine Blöße gibt! Sicher benußt Dieſe der Gegner, um ihm mit den ſcharfen Ecken der Augenſproſſen eine Wunde beizubringen. Man kennt Beiſpiele, daß die Geweihe beim Kampfe ſih ſo feſt ineinander verſchlungen hatten, daß der Tod beider Hirſche die Folge dieſes Zufalles wax, und auh dann vermochte keine