Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Edelhirſ<: Nahrung. Brunſt. Stimme. 469

menſhlihe Kraft, ſie ohne Verleßung der Enden zu trennen. (Ein paar derartig „verkämpſter“ und ſ{hließli< in einer Lache ertrunkener ſtarker Zwölf:Ender wurde jüngſt wieder, im Oktober 1888, noh friſh in der Moſigkauer Heide in Anhalt aufgefunden.) Oft bleibt der Streit ſtundenlang unentſchieden. Nur bei völliger Ermattung zieht ſih der Beſiegte zurück; der Sieger aber findet ſeinen Lohn im unerſättlihen, immer wechſelnden Genuſſe von Gunſtbezeigungen der Tiere, welche (wer kann es beſtimmen, ob niht mit geteilter Teilnahme) dem Kampfe zuſahen. Während desſelben gelingt es zuweilen ganz jungen Hirſchen, ſih auf kurze Zeit den Beſiß der Rechte zu verſchaffen, um welche jene ſi mit ſo großer Hartnäckigkeit ſtreiten, indem ſie ſi< an das Wild heranſchleichen und das genießen, was ihnen ſonſt erſt drei Wochen ſpäter, wenn die ſtarken ganz entkräftet die Brunftpläße verlaſſen, zu teil wird. Zum Beſchlage ſelbſt braucht der Hirſh nur einen ſehr kurzen Zeitraum.

„Das Tier gehört nicht zu den Geſchöpfen, welche niht Gleiches mit Gleichem vergelten, wenn der Gatte ſih ſteten Wechſel erlaubt! Es ſucht ſi ſo oft wie möglich für den Zwang ſchadlos zu halten, welchen ihm die eiferſüchtigen Grillen desſelben auflegen. Sonſt ſchrieb man ihm ſoviel Enthaltſamkeit zu, daß man behauptete / es trenne ſi< unvermerkt vom Hirſche, ſobald es ſi< hochbeſhlagen fühle; neuere Beobachtungen haben das Gegenteil bewieſen.

„Das Tier geht 40—41 Wochen tragend. Es ſett, je nahdem es während der Brunſt zeitig oder ſpät beſhlagen wurde, zu Ende Mai oder im Zuni ein Kalb, ſelten zwei. Wenn die Setzeit herannaht, ſucht es Einſamkeit und Ruhe im dichteſten Holze. Die Kälber ſind in den erſten drei Tagen ihres Lebens ſo unbeholfen, daß ſie ſih niht von der Stelle bewegen. Man kann ſie ſogar mit der Hand aufnehmen. Nur ſelten und auf kurze Zeit verläßt ſie in dieſer Zeit die Mutter, und ſelbſt wenn ſie verſheuht wird, entfernt ſie ſih bloß ſo weit wie nötig iſt, um durch vorgegebene Flucht die wirkliche oder eingebildete Gefahr abzuwenden. Nachdem das Kalb nur eine Woche überlebt hat, würde die Mühe vergeblich ſein, es ohne Nege fangen zu wollen. Überall folgt es nun der Mutter und drü>t ſi ſogleich im hohen Graſe, wenn dieſe ſi< meldet, d. h. einen Laut des Schre>ens von ſi gibt, oder mit dem Vorderlaufe ſ{hnell und ſtark auf den Boden ſtampft. Es beſaugt das Tier bis zur nächſten Brunſtzeit und wird von dieſem über die Wahl der ihm dienlihen Äſung von Jugend auf belehrt.“

Von nun an beginnt das wechſelreiche Leben des Edelwildes. Das Wildkalb iſt bereits im dritten Fahre erwachſen, das Hirſchkalb braucht eine Reihe von Jahren, ehe es ſi alle Rechte der Alleinherrſchaft erworben hat. Jm ſiebenten Monate ſeines Alters ſeßt es zum erſten Male auf, und von nun an we<ſelt es ſeinen Hauptſ<hmu> in jedem Fahre. Jh halte es für ſehr belehrend, einen furzen Überbli> der Veränderungen, welche das Hirſchtalb durhmaht, hier zu geben, und will mi dabei auf Blaſius ſtüßen, welcher dieſen Gegenſtand im naturwiſſénſchaftlihen Sinne behandelt hat. Es reiht beim Hirſche no< weniger aus als beim Rehbo>e, die Anzahl der Enden jagdmäßig zu beſtimmen, um die Reihe der allmählichen Entwickelung zu bezeichnen. Wenn auch in der Anzahl der Enden oſt eine Unregelmäßigkeit des Fortſchrittes bemerkt wird und ſogar die Hirſche nicht ſelten wieder zurüdſeßen, findet doch eine ſtrenge Geſezmäßigkeit in der Reihenfolge der Entwickelung ſtatt, und die Beſtimmung einer ſolchen Entwi>elungsreihe bringt die Anzahl der Enden niht ſo oft in Widerſpruh mit der Stärke des Geweihes der Hirſche als die jagdmäßige Zählung. Für eine naturgeſchichtliche Betrachtung erſcheint die Geſtalt der Geweihe von viel größerer Wichtigkeit als die Anzahl der Enden. Bei der Zählung der Enden kommt ihre Stellung wieder vielmehr in Betracht als die Anzahl ſelber. Nux diejenigen Enden ſind von Bedeutung, welche mit der Hauptſtange in Berührung kommen, alle Verzweigungen, entfernt von der Hauptſtange, können nur als zuſällige, keine weſentlichen Veränderungen