Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

486 Elfte Ordnung: Paarzeher; fünfte Familie: Hirſche.

des Tages, namentli< morgens, abends und während der Naht. Erſt ſpäter nimmt es das Junge mit ſi fort. Wenn die Kälber bloß einige Tage alt ſind, liegen ſie man<hmal ſo tief im Schlafe, daß ſie geſangen werden können, ehe ſie die Ankunſt eines Menſchen wahrnehmen. Sie laſſen ſih ſehr ſhnell zähmen und ſchließen ſi< ihren Fängern ſhon nach wenigen Stunden innig an. Ein Freund von uns beſaß ein Tierïalb, welches nach ſeiner Gefangennahme zu einer Ziege gebra<ht und von dieſer angenommen wurde, und wir haben andere geſehen, welche von Kühen groß geſäugt worden waren. Sie halten ſih gut in der Gefangenſchaft; aber wir haben gefunden, daß ſie läſtige Lieblinge ſind. Ein Paar, welhes wir verſchiedene Jahre hielten, hatte ſi<h gewöhnt, unſer Studierzimmer dur< das offene Fenſter zu beſuchen, und führte dies auh, unbekümmert um die Glasſcheiben, aus, wenn die Fenſter geſ<loſſen waren. Die Tiere ſchienen überhaupt einen zerſtörungsluſtigen Sinn zu beſizen, le>ten und nagten an unſeren Buchde>eln und verurſachten uns oft große Verwirrung unter unſeren Papieren. Kein Buſch in dem Garten, ſo wertvoll er uns auh ſein mochte, wax ihnen heilig; ſie benagten ſelbſt unfer Kutſchgeſchirr und machten ſich ſ<hließli< über unſere jungen Enten und Hühner her, biſſen ihnen den Kopf und die Füße ab und ließen dann den verſtümmelten Leib liegen.

„Das Tier ſett erſt, wenn es wenigſtens zwei Fahre alt iſt, und dann regelmäßig ein Kalb, während es ſpäter deren zwei zur Welt bringt. Ein ſtarkes und geſundes Tier gebiert oft drei Kälber, und in dem Leibe eines von uns erlegten Tieres fanden wir ſogar vier wohlausgebildete Junge. Die regelmäßige Zahl der Kälber iſt zwei. Das Tier liebt ſein Kalb ungemein und kommt auf deſſen Ruf augenbli>li< herbei. Die Fndianer brauchen die Liſt, auf einem Rohrſtü>e das Mahnen des Kalbes nahzuahmen, um die Mutter herbeizulo>en, wel<he dann regelmäßig ihrem Pfeile zum Opfer fällt. Wir ſelbſt haben zweimal Tiere dur<h Nachahmen der Stimme des Kalbes herbeigerufen. Dem Menſchen gegenüber wagt die Mutter ihr Kind nicht zu verteidigen, ſondern denkt nur an die Flucht. Unſer Wild iſt ſehr geſellig und wird in den weſtlihen Prairien oft in ungemein zahlreichen Rudeln von vielen hundert Stüen zuſammen geſehen. Nach der Brunſt ſhlagen ſich, wie wir ſchon erwähnt haben, auh die Hirſche in Rudel zuſammen oder vereinigen ſi< mit den Tieren, welche den größten Teil des Jahres hindur<h zuſammenleben.

„Das Wild iſt eins der ſhweigſamſten aller Geſchöpfe. Es läßt ſelten einen Laut vernehmen. Das Kalb ſtößt ein leiſes Blöken aus, welches von dem feinen Gehöre ſeiner Mutter vielleiht auf eine Entfernung von 100 Schritt wahrgenommen wird; dieſe ruft ihr Kalb durch ein leiſes Murmeln herbei. Ein lautes Schreien haben wir nur gehört, wenn das Wild verwundet wurde. Der Hirſch ſtößt, wenn er aufgeſtöbert wird, ein kurzes Shnauben aus; wir haben aber au< nachts ein ſchrillendes Pfeifen, ähnli dem der Gemſe, von ihm vernommen, und zwar bis auf eine Entfernung von ungefähr einer halben Meile. Die Witterung iſ ſo ausgezeichnet, daß ein Stück dem anderen dur< Spüren zu folgen im ſtande. iſt. An einem Herbſtmorgen ſahen wir ein Tier an uns vorüberlaufen; 10 Minuten ſpäter beobachteten wir einen Hirſch, welcher es mit der Naſe auf dem Boden verfolgte, UNd zwav auf allen Widergängen ſeines Laufes; eine halbe Stunde ſpäter erſchien ein zweiter Hirſ{h und geraume Zeit nachher ein Spießer als dritter, und alle folgten derſelben Fährte. Das Geſicht ſcheint wenig entwi>elt zu ſein; wenigſtens haben wir beobachtet, daß das Wild, wenn wir ſtill ſtanden, oft wenige Schritte vor uns vorbeiging, ohne uns zu bemerken, während es augenbli>lih flüchtig wurde, wenn wir uns bewegten oder wenn wir ihm in den Wind kamen. Das Gehör iſt ebenſo fein wie der Geruch.

„Unſer Wild kann ohne Waſſer nicht beſtehen und iſt gezwungen, die Flüſſe oder Quellen allnächtlih aufzuſuchen. Jm Jahre 1850 herrſchte eine allgemeine Dürre in unſeren ſüdlichen Ländern, und die Folge davon war, daß das Wild maſſenweiſe ſeine Stände verließ